Prof. Dr. Clemens Fuest im Interview: „Wir brauchen ein robustes ökonomisches Fundament“

Hohe Energiepreise, rückläufiger Handel, Einbußen beim Wachstum: Der Angriff Russlands auf die Ukraine verursacht nicht nur unendlich viel menschliches Leid, sondern hat auch schwerwiegende wirtschaftliche Folgen. Sollte die nachhaltige Transformation deshalb eine Pause einlegen? Prof. Dr. Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in München, sagt „nein“! Aber: Er fordert mehr Ausgewogenheit bei der Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeitsziele. 

Prof. Dr. Clemens Fuest

Deutschland und viele andere Länder stehen aufgrund des Ukraine-Krieges aktuell vor besonderen ökonomischen Herausforderungen. Muss die nachhaltige Transformation vor diesem Hintergrund für einen Moment zurückgestellt werden? 

C. Fuest: Es wäre nicht klug, Nachhaltigkeit und Ökonomie gegeneinander auszuspielen, denn Nachhaltigkeit ist ja ein grundlegendes Prinzip wirtschaftlicher Tätigkeit: Man sollte immer so wirtschaften, dass man auch morgen noch erfolgreich sein kann. Eine andere Frage ist, ob Teilziele der nachhaltigen Transformation im Interesse des Gesamtziels manchmal neu gewichtet werden müssen. Dazu kann und muss es in der Tat kommen, wenn außergewöhnliche Herausforderungen zu meistern sind. 

Können Sie ein Beispiel nennen?

C. Fuest: Ein zentrales Ziel der nachhaltigen Transformation ist die Dekarbonisierung der Wirtschaft, also die Senkung der CO2-Emissionen. Aber es ist und bleibt ein Teilziel. Im Angesicht des Ukraine-Krieges und seiner Folgen für die Weltwirtschaft müssen wir schauen, dass wir auch andere Teilziele – zum Beispiel die Bekämpfung von Armut und Hunger oder die Förderung von Gesundheit und Wohlergehen – stets im Blick behalten. Es wäre falsch, alles ausschließlich dem Klimaziel unterzuordnen. Denn wenn wir dies täten und unter dieser Maßgabe beispielsweise von heute auf morgen alle fossilen Energieträger verbieten würden, hätte dies gravierende soziale und vor allem ökonomische Folgen. Wir brauchen aber ein robustes ökonomisches Fundament, um die nachhaltige Transformation in all ihren Dimensionen – ökologisch, ökonomisch und sozial – bewerkstelligen zu können.

Weitaus bedeutsamer als die Menge der Maßnahmen gegen den Klimawandel ist die Frage, welche Instrumente verfolgt werden – und wie gut diese aufeinander abgestimmt sind.

Plädieren Sie also dafür, bei der Erreichung der Klimaziele weniger ehrgeizig zu sein?

C. Fuest: Nein, die Klimaziele sollte man jetzt nicht aufgeben – im Gegenteil: Es ist wichtig und richtig, ein hohes Ambitionsniveau zu haben. Mehr Kreativität und vor allem ökonomische Vernunft würde ich mir allerdings bei der Frage wünschen, wie wir die Ziele erreichen wollen. Denn das Erfolgskriterium lautet nicht „je mehr Maßnahmen, desto besser“, sondern Effizienz. Weitaus bedeutsamer als die Menge der Maßnahmen gegen den Klimawandel ist die Frage, welche Instrumente verfolgt werden – und wie gut diese aufeinander abgestimmt sind. 

Prof. Dr. Clemens Fuest im Interview
Prof. Dr. Clemens Fuest mit Joachim Fröhlich, Mitglied des EB-Vorstands, beim LebensWert-Treff der Evangelischen Bank in Frankfurt am Main.

Welche Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht effizient – und welche weniger?

C. Fuest: Ein besonders wirksames, weil marktbasiertes System ist der europäische Emissionsrechtehandel. Wenn dort ab 2027 zusätzlich zum Energie- und Industriesektor auch der Gebäude- und Verkehrsbereich mit einbezogen wird, ist dies im Sinne des Klimaschutzes ein gewaltiger Schritt nach vorn. Skeptischer bin ich bei der europäischen Finanzmarktregulierung. Die EU-Taxonomie-Verordnung beispielsweise ist sicherlich gut gemeint, aber ihr Problem ist ihr planwirtschaftlicher Ansatz, der der Komplexität heutiger ökonomischer Verflechtungen kaum gerecht wird. Wenn’s ganz unglücklich läuft, wird sogar das Gegenteil vom Erwünschten erreicht: Weil einem Unternehmer neulich nur noch ein elektrisch betriebener Bagger finanziert wurde, kaufte er sich dazu einen Dieselgenerator. Dieser ist leider umweltschädlicher als es ein Dieselbagger gewesen wäre.

Was raten Sie: Worauf sollte sich Deutschland bei der Verfolgung der Klimaziele konzentrieren?

C. Fuest: Mit der Energie- und der Wärmewende hat Deutschland aktuell gut zu tun. Wichtig zu wissen ist allerdings: Mehr als 98 Prozent der globalen CO2-Emissionen entstehen außerhalb Deutschlands. Wir sollten uns daher in erster Linie auf die Entwicklung neuer Technologien konzentrieren. Denn die Nachfrage nach klimafreundlichen Produkten und Dienstleistungen steigt weltweit, und Deutschland hat das Potenzial, sich als führender Anbieter dieser Technologien zu positionieren. Dies kann zu neuen Arbeitsplätzen, Investitionen und einer Stärkung der heimischen Industrie führen. Und vor allem: Es nützt dem Klima, wenn moderne Technologien nicht nur in Deutschland, sondern weltweit zum Einsatz kommen. 

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