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Ohne Wachstum kein Zusammenhalt

8. Dezember 2025

Prof. Dr. Jens Südekum auf dem LebensWert-Treff 2025

Mit einer schonungslosen Analyse einer der größten finanzpolitischen Umbruchsituationen der vergangenen Jahrzehnte endete der diesjährige LebensWert-Treff der Evangelischen Bank. Nach Ansicht des Wirtschaftswissenschaftlers Prof. Dr. Jens Südekum von der Universität Düsseldorf steht Deutschland  vor einer historischen Weichenstellung – und ob sie gelingt, entscheidet sich nicht nur an der Höhe der investierten Milliarden, sondern vor allem an deren klugen Umsetzung.

Was über Jahre als nahezu unantastbar galt, wurde innerhalb weniger Wochen neu justiert: die deutsche Schuldenbremse. Ausgelöst durch geopolitische Umbrüche sei der Handlungsdruck enorm geworden, so Südekum. Verteidigung, Infrastruktur und Transformation ließen sich in der bisherigen Finanzarchitektur schlicht nicht mehr abbilden.

Das nun beschlossene Paket ist gewaltig: Verteidigungsausgaben oberhalb von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden künftig kreditfinanziert, hinzu kommen 500 Milliarden Euro für Infrastruktur. Politisch kam es unter enormem Zeitdruck zustande – noch mit den Mehrheiten des alten Bundestages. Demokratietheoretisch nicht unproblematisch, in der Sache aber zwingend notwendig, wie Südekum betonte.

Industrie in der Krise – ein strukturelles Problem
Warum dieser massive fiskalische Impuls nötig sei, zeigte der Ökonom anhand der aktuellen Wirtschaftsentwicklung. Die deutsche Industrie befinde sich in ihrer schwersten Krise seit Bestehen der Bundesrepublik. Monatlich gingen derzeit rund 13.000 Industriearbeitsplätze verloren – besonders in der Auto-, Chemie-, Metall- und Elektroindustrie.

Anders als in früheren Abschwüngen lasse sich diese Entwicklung nicht mit Bürokratie oder Energiepreisen erklären. Entscheidend sei das veränderte geopolitische Umfeld. Deutschlands exportorientiertes Geschäftsmodell, lange getragen vom freien Handel mit den USA und China, gerate gleich doppelt unter Druck: Während China sich vom wichtigsten Absatzmarkt zum mächtigsten Wettbewerber entwickelt habe, setzten die USA unter Donald Trump auf Abschottung. „Die Nachfrageimpulse, die Deutschland früher aus der Weltwirtschaft erhalten hat, kommen diesmal nicht zurück“, brachte Südekum die Lage auf den Punkt. Der wirtschaftliche Aufschwung müsse nun aus eigener Kraft entstehen – und aus Europa heraus.

Sondervermögen allein schafft noch kein Wachstum
Die beschlossenen Milliarden seien dafür ein entscheidender erster Schritt. Allein auf Bundesebene seien für diese Legislaturperiode zusätzliche Investitionen von 164 Milliarden Euro gegenüber den alten Finanzplanungen vorgesehen. Marode Brücken, Schienen, Straßen und digitale Netze könnten nun endlich systematisch erneuert werden.

Doch Haushaltstitel allein schafften noch keine Brücken, mahnte Südekum. Wachstum entstehe erst dort, wo aus Budgets konkrete Projekte würden. Genau hier beginne nun die eigentliche Bewährungsprobe. Entscheidend sei es, dass wirklich zusätzliche Projekte entstehen und nicht nur ohnehin Geplantes finanziert werden soll. Denn die Investitionen aus dem Sondervermögen kämen nur dann zum Tragen, wenn der Kernhaushalt eine Mindestinvestitionsquote erfülle. Auf Bundesebene sei diese Hürde sinnvoll gesetzt – auf Länderebene hingegen drohten Zweckentfremdungen. Ob zusätzliche Mittel tatsächlich in Schulen, Kitas und Verkehrsinfrastruktur flössen, werde sich erst zeigen.

Wachstum als Voraussetzung für sozialen Zusammenhalt
Das fiskalische Großprogramm habe aber nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine gesellschaftliche Dimension. „Wachstum ist kein Selbstzweck – aber ohne Wachstum fehlt der finanzielle Raum, um sozialen Zusammenhalt zu stärken“, sagte Südekum. Gelinge der wirtschaftliche Neustart nicht, drohe bei kommenden Wahlen eine massive politische Radikalisierung. 

Gleichzeitig verschärfe die demografische Entwicklung den Handlungsdruck. In den kommenden zehn Jahren gingen rund sieben Millionen Babyboomer in den Ruhestand, während deutlich weniger junge Erwerbstätige nachrückten. Ohne Zuwanderung, höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und flexible Übergänge in den Ruhestand sei das Investitionsprogramm personell kaum umsetzbar.

Beschleunigung statt Stillstand: Bürokratie als Schlüsselthema
Ein zentrales Hindernis auf dem Weg zur Wachstumsoffensive sind aus Sicht Südekums die überlangen Planungs- und Genehmigungsverfahren. Selbst mit ausreichender Finanzierung drohten Projekte an jahrelangen Vergabeprozessen zu scheitern. Als positives Gegenbeispiel nannte er den rasanten Bau der LNG-Terminals in der Energiekrise 2022 – ermöglicht durch besondere gesetzliche Rahmenbedingungen und die Erklärung des „überragenden öffentlichen Interesses“.

Seine Forderung: Auch für die Infrastrukturprojekte des Sondervermögens müsse dieser Ausnahmezustand zur neuen Regel werden. Andernfalls drohe das Geld vor allem die Preise in die Höhe zu treiben, statt reale Kapazitäten zu schaffen.

Die große Bewährungsprobe beginnt jetzt
Am Ende seines Vortrags machte Jens Südekum klar: Die finanzpolitische Zeitenwende ist beschlossen – doch ob sie zur wirtschaftlichen Erneuerung Deutschlands führe, entscheide sich erst jetzt. Gelänge es, Projekte zu realisieren, Kapazitäten aufzubauen, Fachkräfte zu gewinnen und privates Kapital zu mobilisieren, könne ein nachhaltiger Wachstumspfad entstehen. Gelinge es nicht, drohten steigende Schulden, wachsende Frustration und gesellschaftliche Spannungen.

Erfahren Sie mehr zum Thema Zusammenhalt und Wachstum – im Interview mit Prof. Dr. Südekum beim LebensWert-Treff 2025

Prof. Dr. Jens Südekum

Prof. Dr. Jens Südekum

Auf dem LebensWert-Treff 2025 der Evangelischen Bank.

Interview • Länge: 01:58 • Veröffentlicht: 08.12.2025

Prof. Dr. Jens Südekum

Auf dem LebensWert-Treff 2025 der Evangelischen Bank.

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Prof. Dr. Jens Südekum

Prof. Dr. Jens Südekum

Auf dem LebensWert-Treff 2025 der Evangelischen Bank.

Interview • Länge: 01:58 • Veröffentlicht: 08.12.2025