Wie Arbeitsmigration gelingen kann
12. Dezember 2025
Beim LebensWert-Treff 2025 diskutierten fünf Expert:innen aus Politik, Wissenschaft und Praxis über die Zukunft der Arbeitsmigration. Sie erörterten, warum sie für unsere Gesellschaft unverzichtbar ist – und beleuchteten zugleich die Frage, was sich ändern muss, damit Arbeitsmigration gelingt.
Warum Arbeitsmigration unverzichtbar ist
Die Ausgangslage ist klar: Ohne Fachkräfte aus dem Ausland würde die Versorgung im Gesundheits- und Pflegesektor in Deutschland zusammenbrechen – das zeigen unter anderem die Zahlen des Mediendienst Integration deutlich:
Pflegeberufe
17,8 % aller Pflegekräfte stammen aus dem Ausland
21,7 % beträgt der Anteil aller aus dem Ausland stammenden Pflegekräfte in der Altenpflege
Krankenhaus
Ca. 33 % der Belegschaft in Krankenhäusern hat einen Migrationshintergrund
14 % aller Ärzt:innen haben einen Migrationshintergrund
Seit 2022 wird das Beschäftigungswachstum in der Pflege ausschließlich von ausländischen Fachkräften getragen. Prognosen gehen davon aus, dass bis 2049 bis zu 690.000 Pflegekräfte fehlen könnten, wenn keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen werden.
Diese Daten unterstreichen die Dringlichkeit: Arbeitsmigration ist kein Randthema, sondern eine zentrale Voraussetzung für die Stabilität unseres Gesundheitssystems. Doch wie gelingt Integration? Welche Hürden müssen abgebaut werden? Und wie schaffen wir eine echte Willkommenskultur?
Die Debatte begann mit einer kritischen Bestandsaufnahme: Deutschland hat Fortschritte gemacht, aber die Hürden sind enorm. Von der Anwerbung bis zur Integration sind Prozesse oft zu langsam, zu bürokratisch und zu wenig praxisorientiert. Besonders bei der Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen herrschte im Podium Konsens darüber, dass hier bürokratische Hürden abgebaut werden müssen. Im Verlauf der Diskussion entwickelten die Teilnehmenden konkrete Ansätze, wie das erreicht werden kann.
Integration durch Arbeit: der Schlüssel zum Erfolg
Diakoniepräsident Rüdiger Schuch machte deutlich, dass Arbeit Sinn stiftet und so die Integration fördert: „Durch Arbeit kommen wir in Kontakt miteinander und sprachliche Barrieren werden abgebaut. Wer schnell in Arbeit kommt, integriert sich besser.“
Er forderte außerdem, dass den Einrichtungen vor Ort mehr Entscheidungsspielraum eingeräumt werden müsse, um Qualifikationen anzuerkennen. Statt langer Prüfverfahren müsse der Fokus auf dem liegen, was Menschen an Fähigkeiten und Erfahrung mitbringen, nicht auf deren Defiziten. Gleichzeitig warnte er vor einer gesellschaftlichen Polarisierung, die Deutschland für Fachkräfte unattraktiv mache.
Bürokratie und Anerkennung: die größten Hürden
Yasemin Bekyol arbeitet am FAU Forschungszentrum Center for Human Rights Erlangen-Nürnberg im Projekt „Gesundheit! Teilhabe im Pflegesektor“. Das Projekt untersucht Arbeits- und Lebensbedingungen internationaler Pflegekräfte in Deutschland und entwickelt Handlungsempfehlungen für nachhaltige Beschäftigung und Integration. „Wir müssen das Gesundheitssystem weiter öffnen für Menschen mit Migrationsgeschichte. Sie brauchen planbare Bleibeperspektiven.“
Bekyol kritisierte, dass ausländische Fachkräfte oft jahrelang auf Anerkennung warten müssten, und forderte ein Übergangsmanagement, das den Einstieg erleichtert. Ihre Analyse: Die rechtlichen Strukturen sind komplex, die föderalen Unterschiede erheblich, zusätzlich verschärfen Kürzungen bei der Sprachförderung die Lage.
Politische Lösungen: Willkommenskultur und mehr Unterstützung vor Ort
Filiz Polat, Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, sprach sich für eine stärkere Willkommenskultur aus: „Deutschland ist ein Einwanderungsland – schaffen wir die richtigen Rahmenbedingungen dafür, dass Menschen mit Migrationsgeschichte bei uns Arbeit und Heimat finden.“
Sie verwies beim Anerkennungsprozess von im Ausland erworbenen Abschlüssen auf den Einfluss der Berufskammern, die aus Gründen der Besitzstandswahrung deutscher Abschlüsse Anerkennungsverfahren verzögern würden. Ihr Vorschlag: Mehr Praxisbezug bei der Anerkennung und weniger starre Vergleiche mit veralteten Studienordnungen.
„Kommunale Spitzenverbände kommen an ihre Belastungsgrenzen. Wir brauchen Ressourcen und schlanke Prozesse vor Ort, damit Integration gelingt“, erklärte Dr. Cornell Babendererde (CDU), Berichterstatterin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Thema Arbeitsmigration. Dabei verwies sie auf die vom Bundeskabinett beschlossenen Eckpunkte für den Aufbau der sogenannten Work-and-Stay-Agentur zur Fachkräfteeinwanderung. Ziel der Agentur ist es, Anerkennungsverfahren zu erleichtern und Anträge zentral über eine digitale Plattform zu ermöglichen.
Mahnung aus der Praxis: Ohne Migration funktioniert Gesundheitssystem nicht
Clemens Maurer, Sprecher der Geschäftsführung des Klinikums Darmstadt, brachte die Perspektive der Praxis auf den Punkt:
„Ohne Menschen aus dem Ausland funktioniert unser Gesundheitssystem in Zukunft nicht mehr. Wenn sich an den Anerkennungsverfahren nichts ändert, müssen Krankenhäuser Leistungen kürzen oder sogar schließen.“ Im Klinikum Darmstadt habe schon jetzt ein Drittel der Belegschaft einen Migrationshintergrund – und viele weitere Fachkräfte werbe man derzeit aus dem Ausland an. Meist geschehe dies über Netzwerke der bestehenden Mitarbeitenden, vorrangig aus dem Iran und Syrien. Maurer forderte schnelle Anerkennung und flexible Lösungen: Fachkräfte sollen sofort arbeiten dürfen – begleitet von erfahrenen Kolleg:innen.
Fazit der Diskussion
Die Podiumsdiskussion machte deutlich: Arbeitsmigration ist für die Stabilität des deutschen Gesundheits- und Sozialwesens unverzichtbar. Ohne Fachkräfte aus dem Ausland drohen massive Versorgungslücken. Damit Migration gelingt, braucht es weniger Bürokratie, schnellere Anerkennungsverfahren und flexible Lösungen vor Ort. Integration durch Arbeit ist der Schlüssel – unterstützt durch eine echte Willkommenskultur und planbare Bleibeperspektiven. Politik, Praxis und Gesellschaft müssen gemeinsam handeln, um Deutschland für internationale Fachkräfte attraktiv zu machen.