Soziale Taxonomie

Wozu eine soziale Taxonomie?

Hände halten einen Europakreis

Hauptzweck des Aufbaus einer sozialen Taxonomie ist es, einen verbindlichen Leitfaden für sozial nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu entwickeln. Investor:innen soll es hierdurch erleichtert werden, ihre Kapitalströme nicht nur in ökologisch, sondern auch in sozial nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu lenken.

Ziele einer sozialen Taxonomie

Das EU-Expertengremium „Platform on Sustainable Finance“ hat drei übergeordnete Ziele definiert:

Icon von zwei Personen die sich unterhalten

Menschenwürdige
Arbeit

Dazu zählt u. a. die Stärkung des sozialen Dialogs, die Verbesserung von Weiterbildungsangeboten und die Sicherung von Arbeits- und Menschenrechten.

Icon von einem Regenschirm

Angemessene Arbeit und Schutz
der Endnutzer:innen

Das heißt u. a. Verbesserung der Zugänge zu Wohnraum in guter Qualität, zu nahrhaften Lebensmitteln oder auch zu hochwertigen Gesundheitsprodukten und -dienstleistungen.

Icon von einer Gruppe von Menschen

Nachhaltige Gemeinschaften
und Gesellschaften

Ziel ist es u. a. die nachhaltigen Lebensgrundlagen zu sichern und zu unterstützen.

Stand der Umsetzung

Im Februar 2022 hat die Arbeitsgruppe der EU Platform on Sustainable Finance ihren Abschlussbericht zur sozialen Taxonomie vorgelegt. Eine Entscheidung der EU-Kommission, ob und in welcher Form die Vorschläge der Arbeitsgruppe umgesetzt werden, steht aktuell noch aus. Zu erwarten ist allerdings, dass die Vorschläge mindestens bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode – im Juni 2024 wird ein neues EU-Parlament gewählt – nicht mehr aktiv aufgegriffen werden.

Fahnen vor dem europäischen Parlament

Unterstützung durch die Evangelische Bank

Wir werden unsere Kund:innen aktiv begleiten und sie gemeinsam mit den diakonischen Verbänden unterstützen. In jedem Fall empfehlen wir allen Unternehmen und Einrichtungen,  die unter die Berichtspflicht der sogenannten CSRD-Richtlinie fallen, sich mit den neuen Vorgaben intensiv zu befassen. Nach jetzigem Stand sind dies Organisationen mit durchschnittlich 250 Mitarbeiter:innen, einem Jahresumsatz von 50 Millionen Euro und einer Bilanzsumme in Höhe von 25 Millionen Euro – wobei die Pflicht bereits greift, wenn zwei der drei genannten Faktoren erfüllt sind.


Schreiben an die EU-Kommission

Die Evangelische Bank hat in zwei Schreiben an die EU-Kommission bzw. die EU-Kommissionspräsidentin die Bedeutung einer sozialen Taxonomie hervorgehoben. Neben der Forderung zur Einführung im Jahr 2022 folgte im Jahr 2023 gemeinsam mit Vertretern  verschiedener Initiativen und anderer Banken die Betonung der Notwendigkeit eines Social Investment Frameworks.

Die Vorstände der Evangelischen Bank

Am 19.08.2022 hat der Vorstand der Evangelischen Bank eine E-Mail an die EU-Kommission versendet, in der für die baldige Einführung einer sozialen Taxonomie geworben wird. In dem Schreiben heißt es, dass nur ein verbindliches Rahmenwerk Unternehmen sowie Anlegern und Kreditgebern klare Leitlinien dafür liefern könne, was sozial nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten sind.

Schreiben vom 19.08.2022

E-Mail an die EU-Kommission

Sehr geehrte Damen und Herren,

vor mehr als fünf Monaten hat die Arbeitsgruppe der EU Platform on Sustainable Finance ihren Abschlussbericht zur sozialen Taxonomie vorgelegt. Als nachhaltig führende Spezialbank für Kunden aus Kirche, Diakonie, Gesundheits- und Sozialwirtschaft sowie für alle privaten Kund:innen mit christlicher Werteorientierung begrüßen wir ausdrücklich die Einführung einer sozialen Taxonomie. Es ist allerdings an der Zeit, dass auf der Basis des Berichts nun die nächsten Schritte erfolgen. Nur ein verbindliches Rahmenwerk kann Unternehmen sowie Anlegern und Kreditgebern klare Leitlinien dafür liefern, was sozial nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten sind.

Käme ein solches Rahmenwerk in der Form einer sozialen Taxonomie nicht oder zu spät, hätte dies gravierende Nachteile für alle Akteur:innen im sozialen Bereich. Schon jetzt durchlebt die Gesundheits- und Sozialwirtschaft schwierige Zeiten und steht vor großen Aufgaben. Die Leidenschaft und das Engagement derer, die in sozialen Berufen tätig sind – allein in Deutschland sind dies mehr als acht Millionen Menschen –, darf nicht durch zögerliches oder gar unentschlossenes regulatorisches Handeln gebremst werden. Genau das droht aber zu passieren, wenn für soziale Aktivitäten keine Klassifizierung in der Weise entwickelt wird, wie dies für ökologisch nachhaltige Aktivitäten bereits weitgehend geschehen ist. Der Status quo, also eine Taxonomie lediglich mit globalen sozialen Mindeststandards, wird der gesellschaftlichen Bedeutung sozialer Produkte und Dienstleistungen nicht gerecht.

Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat die Bedeutung beispielsweise des Gesundheitssektors weithin sichtbar vor Augen geführt. Dennoch können die Aktivitäten etwa eines Krankenhausbetreibers bislang kaum als nachhaltig im Sinne einer Taxonomie bezeichnet werden. Auch verwandte Sektoren wie der Pflegebereich und die Behindertenhilfe stehen hinsichtlich der politischen und rechtlichen Würdigung ihrer Beiträge zur Gestaltung einer nachhaltig lebenswerten Gesellschaft derzeit eher im Schatten: Sie sind bei den bisherigen Bemühungen, mehr Kapital in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu lenken, offenbar übersehen worden. Dabei vollbringen gerade auch diese Sektoren unschätzbar wichtige Dienste am Menschen: Die hier geleistete Arbeit, die ein faires Miteinander, die aktive Einbindung benachteiligter Gruppen in die Gemeinschaft oder gute Lebensbedingungen für alle schafft, ist jedenfalls nach unserer Auffassung ein zentraler Anker für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und deshalb besonders schützenswert.

Vor diesem Hintergrund sollte die Gesundheits- und Sozialwirtschaft mit anderen Maßstäben gemessen werden als beispielsweise industrielle Branchen. Denn die Gesundheits- und Sozialwirtschaft stützt das soziale Fundament unserer europäischen Volkswirtschaften, aber sie verfügt nicht – anders als etwa der Chemie- oder Automobilsektor – über allzu viele investive und finanzielle Möglichkeiten, ihren CO2-Ausstoß zu senken. Die logische Folge kann unseres Erachtens nur sein: Sozial nachhaltige Aktivitäten müssen ebenso anerkannt werden wie ökologisch nachhaltige Aktivitäten. Oder anders ausgedrückt: Die Sozial- und Gesundheitswirtschaft muss fehlende Verbesserungspotenziale hinsichtlich ihres „Umwelt-Impacts“ kraft ihrer besonderen Gemeinwohlorientierung gleichsam kompensieren können.

Wir bitten Sie also: Lassen Sie die Akteur:innen aus dem sozialen Bereich aus dem Schatten heraustreten! Verschaffen Sie ihnen mehr Wertschätzung auch dadurch, dass Sie zusätzliches Kapital in sozial nachhaltige Aktivitäten lenken helfen – durch die zügige und rechtsverbindliche Einführung einer sozialen Taxonomie! Denn die meisten Investor:innen – zum Beispiel Pensions- und Versorgungskassen, Stiftungen, aber auch Landeskirchen – sind längst dabei, Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG) in ihren Strategien umzusetzen. Eine langfristige ausbalancierte Strategie umfasst alle drei Bereiche gleichermaßen. Soziale Wirtschaftstätigkeiten sollten in den Anlage- und Kreditportfolios daher eine ebenso starke Berücksichtigung finden wie ökologische Wirtschaftstätigkeiten.

Bereits seit mehr als 50 Jahren leitet Nachhaltigkeit mit ihren drei Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales alle Entscheidungen der Evangelischen Bank. Nachhaltigkeit ist für uns insofern kein Trend, sondern eine Haltung. Diese treibt uns auch an, wenn wir uns heute so eindringlich an Sie wenden: Vervollständigen Sie das begonnene Rahmenwerk, indem Sie die ökologisch ausgerichtete EU-Taxonomie um eine soziale Dimension erweitern!

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Vorstand der Evangelischen Bank eG

Thomas Katzenmayer,  Joachim Fröhlich und Olaf Kreuzberg

Vor dem Hintergrund der stockenden Planungen bzgl. der Einführung einer sozialen Taxonomie hat die Evangelische Bank am 12.10.2023 im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in der Arbeitsgruppe kirchlicher Investoren (AKI) in einem offenen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Dr. Ursula von der Leyen die Schaffung eines „Social Investment Framework“ gefordert. Mit diesem soll sichergestellt werden, dass soziale Investitionen Teil der EU Sustainable Finance Regulierung werden. Neben den anderen Mitgliedern des AKI haben auch europäische Organisationen wie die European Association of Public Banks (EAPB), CSR Europe und der Verband öffentlicher Unternehmen (SGI Europe) den Brief unterzeichnet.

Schreiben vom 12.10.2023

Schreiben an die EU-Kommissionspräsidentin Dr. Ursula von der Leyen

 

Dear President of the European Commission Ms. Ursula von der Leyen,

Europe needs to mobilise capital for social investments1

Sustainability has a social dimension, and consequently, Europe needs a framework to guide investments towards social housing, healthcare, education, and to ensure human rights in value chains.

“We can and must reverse the trend that has seen investment in human capital, especially in health, education and affordable housing, stall in many regions and countries.” Report of the High-Level Task Force on Investing in Social Infrastructure in Europe 2018.2
The EU sustainable finance (EU SF) framework fails to address the social dimension of sustainability. As it is, the EU SF framework focuses on avoiding negative social impacts without giving any guidance on how sustainable investments could positively contribute to social goals and thus among other things to ensure a fair and just transition towards climate neutrality. While it encourages investments in environmental activities, this situation exposes the EU Commission to the criticism that it misses the opportunity to tap into the transformative potential of socially minded investors.
The problems around implementing the EU SF framework and especially around the EU taxonomy should not be seen as a reason for abandoning the effort to offer a framework for socially sustainable investments decisions. Rather, they should be seen as an opportunity to learn and craft a more suitable framework that addresses the needs of investors and the financial sector.

The reasons for the need for a Social Investment Framework remain:

  1. Capital is needed in social areas more than ever. The Report of the High-Level Task Force on Investing in Social Infrastructure in Europe (2018) already estimates a minimum gap in social infrastructure investment at EUR 100-150 bn p.a. and a total gap of over EUR 1.5 trillion in 2018- 2030.
  2. The implementation of the due diligence directive (CSDDD) will require substantial expenditures by companies directly linked to respecting human rights especially in their value chain.2
  3. There is a growing number of institutional and retail investors who incorporate social aspects into their investment strategies. This was illustrated by the great demand for the EU bonds to “Support to mitigate Unemployment Risks in an Emergency (SURE)”.
  4. Investors lack an orientation for what constitutes a “social investment”, as well as commonly accepted definitions. Without this orientation, social investments lack the impact they could have if specific activities would be officially and coherently defined as “social”.
  5. Companies recognise a need to address social issues. On top of traditional social impacts on workers, communities and suppliers, companies recognise that they have to address f. ex. changes in skills needed for the green just transition and the inclusion of workers in situations of vulnerability, like migrants.

In order to smooth the implementation of such a social investment framework it should be built on already existing and upcoming EU legal frameworks, while avoiding the shortfalls of the EU taxonomy:

The EU Treaties provide a definition of “services of general economic interest (SGEI)

  • The European Voluntary Quality Framework for Social Services of General Interest (EVQF SSGI) defines quality criteria for these products and services
  • The upcoming European due diligence directive (CSDDD) will define companies´ duties to respect human rights.
  • The “Corporate Sustainable Reporting Directive” (CSRD) will provide the necessary data.
  • The regulation establishing the InvestEU Programme defines social investments and skills
  • The regulation establishing the European Social Fund Plus (ESF+) defines social innovation and social enterprises

Considering the compelling need for more and continuously high investments in social infrastructure, especially in the face of the green just transition and migration into the EU f. ex. caused by the war in Ukraine, we ask the EU-Commission to put a Social Investment Framework on its agenda. The issue has never been more pressing and the need for social investment never greater.
As experts in implementing CSR in companies and delivering and financing Services of General Interest we would very much appreciate an opportunity to discuss our shared approach to a Social Investment with you.

Sincerely yours,

EAPB, SGI europe, CSR Europe, VÖB, TriodosBank, AKI, KD-Bank, Evangelische Bank, Bank für Kirche und Caritas, Bank für Sozialwirtschaft, Pax-Bank, GLS Bank, UmweltBank


1 This paper has been built upon stakeholder dialogues with a growing community of organisations interested in the development of a social investment framework.
2 https://economy-finance.ec.europa.eu/system/files/2018-01/dp074_en.pdf


Stand: 29.01.2024