Soziale Taxonomie

Wozu eine soziale Taxonomie?

Hände halten einen Europakreis

Hauptzweck des Aufbaus einer sozialen Taxonomie ist es, einen verbindlichen Leitfaden für sozial nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu entwickeln. Investor:innen soll es hierdurch erleichtert werden, ihre Kapitalströme nicht nur in ökologisch, sondern auch in sozial nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu lenken.

Ziele einer sozialen Taxonomie

Das EU-Expertengremium „Platform on Sustainable Finance“ hat drei übergeordnete Ziele definiert:

Icon von zwei Personen die sich unterhalten

Menschenwürdige
Arbeit

Dazu zählt u. a. die Stärkung des sozialen Dialogs, die Verbesserung von Weiterbildungsangeboten und die Sicherung von Arbeits- und Menschenrechten.

Icon von einem Regenschirm

Angemessene Arbeit und Schutz
der Endnutzer:innen

Das heißt u. a. Verbesserung der Zugänge zu Wohnraum in guter Qualität, zu nahrhaften Lebensmitteln oder auch zu hochwertigen Gesundheitsprodukten und -dienstleistungen.

Icon von einer Gruppe von Menschen

Nachhaltige Gemeinschaften
und Gesellschaften

Ziel ist es u. a. die nachhaltigen Lebensgrundlagen zu sichern und zu unterstützen.

Stand der Umsetzung

Im Februar 2022 hat die Arbeitsgruppe der EU Platform on Sustainable Finance ihren Abschlussbericht zur sozialen Taxonomie vorgelegt. Eine Entscheidung der EU-Kommission, ob und in welcher Form die Vorschläge der Arbeitsgruppe umgesetzt werden, steht aktuell noch aus. Wenn der Gesetzgeber die soziale Taxonomie – in welcher Form auch immer – einführt, ist davon auszugehen, dass Unternehmen und Einrichtungen, die zukünftig unter die Berichtspflicht der sogenannten CSRD-Richtlinie fallen, zur EU-Taxonomie berichten müssen. Nach jetzigem Stand wären dies Organisationen mit durchschnittlich 250 Mitarbeiter:innen, einem Jahresumsatz von 40 Millionen Euro und einer Bilanzsumme in Höhe von 20 Millionen Euro – wobei die Pflicht bereits greift, wenn zwei der drei genannten Faktoren erfüllt sind.

Fahnen vor dem europäischen Parlament

Unterstützung durch die Evangelische Bank

Wir werden unsere Kund:innen aktiv begleiten und sie gemeinsam mit den diakonischen Verbänden unterstützen. In jedem Fall empfehlen wir allen Unternehmen und Einrichtungen, sich mit dem Abschlussbericht zur sozialen Taxonomie intensiv auseinanderzusetzen. Sodann sollten potenzielle Handlungsfelder identifiziert werden, auch wenn aktuell noch keine technischen Bewertungskriterien vorliegen und auch nicht klar ist, wie die soziale Taxonomie letztlich aussehen wird.


E-Mail an die EU-Kommission

Am 19.08.2022 hat der Vorstand der Evangelischen Bank eine E-Mail an die EU-Kommission versendet, in der für die baldige Einführung einer sozialen Taxonomie geworben wird. In dem Schreiben heißt es, dass nur ein verbindliches Rahmenwerk Unternehmen sowie Anlegern und Kreditgebern klare Leitlinien dafür liefern könne, was sozial nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten sind.

Die Vorstände der Evangelischen Bank
Zum E-Mail Inhalt

E-Mail an die EU-Kommission

Sehr geehrte Damen und Herren,

vor mehr als fünf Monaten hat die Arbeitsgruppe der EU Platform on Sustainable Finance ihren Abschlussbericht zur sozialen Taxonomie vorgelegt. Als nachhaltig führende Spezialbank für Kunden aus Kirche, Diakonie, Gesundheits- und Sozialwirtschaft sowie für alle privaten Kund:innen mit christlicher Werteorientierung begrüßen wir ausdrücklich die Einführung einer sozialen Taxonomie. Es ist allerdings an der Zeit, dass auf der Basis des Berichts nun die nächsten Schritte erfolgen. Nur ein verbindliches Rahmenwerk kann Unternehmen sowie Anlegern und Kreditgebern klare Leitlinien dafür liefern, was sozial nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten sind.

Käme ein solches Rahmenwerk in der Form einer sozialen Taxonomie nicht oder zu spät, hätte dies gravierende Nachteile für alle Akteur:innen im sozialen Bereich. Schon jetzt durchlebt die Gesundheits- und Sozialwirtschaft schwierige Zeiten und steht vor großen Aufgaben. Die Leidenschaft und das Engagement derer, die in sozialen Berufen tätig sind – allein in Deutschland sind dies mehr als acht Millionen Menschen –, darf nicht durch zögerliches oder gar unentschlossenes regulatorisches Handeln gebremst werden. Genau das droht aber zu passieren, wenn für soziale Aktivitäten keine Klassifizierung in der Weise entwickelt wird, wie dies für ökologisch nachhaltige Aktivitäten bereits weitgehend geschehen ist. Der Status quo, also eine Taxonomie lediglich mit globalen sozialen Mindeststandards, wird der gesellschaftlichen Bedeutung sozialer Produkte und Dienstleistungen nicht gerecht.

Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat die Bedeutung beispielsweise des Gesundheitssektors weithin sichtbar vor Augen geführt. Dennoch können die Aktivitäten etwa eines Krankenhausbetreibers bislang kaum als nachhaltig im Sinne einer Taxonomie bezeichnet werden. Auch verwandte Sektoren wie der Pflegebereich und die Behindertenhilfe stehen hinsichtlich der politischen und rechtlichen Würdigung ihrer Beiträge zur Gestaltung einer nachhaltig lebenswerten Gesellschaft derzeit eher im Schatten: Sie sind bei den bisherigen Bemühungen, mehr Kapital in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu lenken, offenbar übersehen worden. Dabei vollbringen gerade auch diese Sektoren unschätzbar wichtige Dienste am Menschen: Die hier geleistete Arbeit, die ein faires Miteinander, die aktive Einbindung benachteiligter Gruppen in die Gemeinschaft oder gute Lebensbedingungen für alle schafft, ist jedenfalls nach unserer Auffassung ein zentraler Anker für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und deshalb besonders schützenswert.

Vor diesem Hintergrund sollte die Gesundheits- und Sozialwirtschaft mit anderen Maßstäben gemessen werden als beispielsweise industrielle Branchen. Denn die Gesundheits- und Sozialwirtschaft stützt das soziale Fundament unserer europäischen Volkswirtschaften, aber sie verfügt nicht – anders als etwa der Chemie- oder Automobilsektor – über allzu viele investive und finanzielle Möglichkeiten, ihren CO2-Ausstoß zu senken. Die logische Folge kann unseres Erachtens nur sein: Sozial nachhaltige Aktivitäten müssen ebenso anerkannt werden wie ökologisch nachhaltige Aktivitäten. Oder anders ausgedrückt: Die Sozial- und Gesundheitswirtschaft muss fehlende Verbesserungspotenziale hinsichtlich ihres „Umwelt-Impacts“ kraft ihrer besonderen Gemeinwohlorientierung gleichsam kompensieren können.

Wir bitten Sie also: Lassen Sie die Akteur:innen aus dem sozialen Bereich aus dem Schatten heraustreten! Verschaffen Sie ihnen mehr Wertschätzung auch dadurch, dass Sie zusätzliches Kapital in sozial nachhaltige Aktivitäten lenken helfen – durch die zügige und rechtsverbindliche Einführung einer sozialen Taxonomie! Denn die meisten Investor:innen – zum Beispiel Pensions- und Versorgungskassen, Stiftungen, aber auch Landeskirchen – sind längst dabei, Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (ESG) in ihren Strategien umzusetzen. Eine langfristige ausbalancierte Strategie umfasst alle drei Bereiche gleichermaßen. Soziale Wirtschaftstätigkeiten sollten in den Anlage- und Kreditportfolios daher eine ebenso starke Berücksichtigung finden wie ökologische Wirtschaftstätigkeiten.

Bereits seit mehr als 50 Jahren leitet Nachhaltigkeit mit ihren drei Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales alle Entscheidungen der Evangelischen Bank. Nachhaltigkeit ist für uns insofern kein Trend, sondern eine Haltung. Diese treibt uns auch an, wenn wir uns heute so eindringlich an Sie wenden: Vervollständigen Sie das begonnene Rahmenwerk, indem Sie die ökologisch ausgerichtete EU-Taxonomie um eine soziale Dimension erweitern!

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Vorstand der Evangelischen Bank eG

Thomas Katzenmayer,  Joachim Fröhlich und Olaf Kreuzberg


Stand: 30.08.2022