Digitalisierung in der Pflege: Mehr Zeit für Pflege und Mensch

Pflege, ob durch Angehörige oder professionelles Pflegepersonal, ob in den eigenen vier Wänden oder stationär, findet von Menschen für Menschen statt. Jedoch wird in der heutigen Zeit der Pflegeberuf immer anspruchsvoller. Der demografische Wandel sorgt zusätzlich für einen Fachkräftemangel. So wird es für Pflegekräfte immer schwerer, sich bei der Vielzahl von Aufgaben angemessen Zeit für die zu pflegenden Personen nehmen zu können.

Pflegerin steht am Terminal

Können Technik und Digitalisierung dabei helfen, den immer größer werdenden Herausforderungen für die Pflege zu begegnen? Was muss dabei beachtet werden? Gibt es bereits Initiativen?

Digitalisierung auf einen Blick

Herausforderungen in der Pflege

Chancen der Digitalisierung für die Pflege

Digitalisierung kann helfen, Probleme zu lösen und das Pflegewesen und deren Mitarbeiter:innen zu entlasten. Hier finden sich ausgewählte Aspekte:

Digitalisierung der Dokumentation

Der hohe Dokumentationsaufwand von Pflegemaßnahmen, Gesundheitsdaten und Historien von Patient:innen in Pflegeheimen und bei der ambulanten Pflege könnte mithilfe von Digitalisierung verbessert werden. Anstelle von händischer Dokumentation durch Mitarbeiter:innen könnten gemessene Daten wie Blutdruck, Puls etc. mobil per Tablet bzw. Smartphone erfasst werden. In einem vernetzten System (Internet of Things) könnten diese sogar automatisch und in regelmäßigen Abständen erfasst werden, sodass diese einfach zur Verfügung stehen würden: Das Blutdruckmessgerät übermittelt die gemessenen Puls- und Blutdruckinformationen an das System. Diese können durch die Mitarbeiter:in sofort auf einem Tablet eingesehen werden. Auch die anderen Mitarbeiter:innen können sofort darauf zugreifen. Mit der Nutzung mobiler Geräte, wie Tablets oder Smartphones, können Pflegekräfte mobil, ohne Unterlagen transportieren zu müssen, einen Überblick über Patient:innen bekommen. Auf diese Weise wird die Zeit gespart, die für die manuelle Dokumentation und das Übertragen in das Computersystem aufgewendet werden muss. Ebenfalls können die wichtigen Daten nicht verloren oder verlegt werden.

Unterstützung mit Sensorik

Sensorik erlaubt es Pfleger:innen sowohl in der häuslichen als auch ambulanten Pflege, ihre Rundgänge anders zu gestalten: Anstelle von ausschließlich regelmäßigen Routinerundgängen, kann ebenfalls bedarfsgerecht den Pflegebedürftigen geholfen werden. Nässesensoren in Betten können automatisch eine Meldung geben und Pflegekräfte informieren: Eine Benachrichtigung auf ihrem mobilen Gerät weist sie darauf hin und sie können den betroffenen Personen helfen. So wird ebenfalls für Betroffene vermieden, eine längere Zeit auf Hilfe zu warten, wenn nicht bekannt ist, dass diese Hilfe benötigen, weil ein Rundgang gerade stattgefunden hat.

Ebenfalls können Pflegebedürftige mit Sturzsensoren unterstützt werden, sodass sofort die benötigte Hilfe informiert werden kann. Diese Sensoren können auch Informationen weitergeben, wenn sich die Träger:innen eine ungewöhnlich lange Zeit nicht bewegt haben. Besonders in der häuslichen Pflege, sowohl von ambulanten Diensten als auch pflegenden Angehörigen, können Sturzsensoren einen großen Unterschied machen. Die Betroffenen können zeitnah benötigte Hilfe bekommen und verbringen so kürzere Zeiträume gestürzt, auf dem Boden.

Mit Sensorik können aber auch unscheinbarere Aufgaben erledigt und die Lebensqualität für Pflegebedürftige im Alltag erhöht werden: Eine Person im Pflegeheim muss nachts zum WC. Steht diese auf, kann ein Bewegungssensor das Licht anschalten, damit der Gang zur Toilette beleuchtet wird.

Abbildung einer Wohnung mit Sensorik
Abbildung 1 ALADIEN, Darstellung Wohnung mit Sensorik der escos automation GmbH

Für weitere Informationen und die Erfahrung der Evangelischen Heimstiftung mit dem Einsatz von Sensorik, haben wir die Evangelische Heimstiftung interviewt. Mehr dazu später im Beitrag.

Roboter in der Pflege

Digitale Pflegeanwendungen für Hilfe zur Selbsthilfe

Um Pflegebedürftige schon zuhause zu unterstützen, sind digitale Pflegeanwendungen (DiPa) geplant. Dies sind Programme / Apps, mit denen leichte Pflegetätigkeiten selbstständig durchgeführt werden können. Nutzende können mithilfe bspw. von Apps und Wearables Übungen durchführen oder individuelle Gesundheitstipps bekommen. Aktuell gibt es noch keine offiziell zugelassenen digitalen Pflegeanwendungen, diese sollen im Laufe des Jahres 2023 eingeführt werden.

Herausforderungen und Risiken der Digitalisierung

Digitaler Wandel und digitale Kompetenz

Datenschutz

Ethische Fragestellungen

Die Nutzung oder das Testen von durch künstliche Intelligenz oder Automatisierung gestützte digitale Anwendungen oder Robotik in der Pflege, wirft einige ethische Fragen auf: Ist es vertretbar, das Pflegebedürftige von Robotern gepflegt werden bzw. die Pflege mit Robotern unterstützt wird? Wie groß darf der automatische oder durch KI gestützte Teil der Pflege maximal sein? Was ist, wenn der Pflegebedarf so groß ist und dieser nur durch Roboter abgedeckt werden kann?

Diese Fragen sollten beim Einsatz von KI und Robotik in der Pflege beachtet und sich kritisch damit auseinandergesetzt werden.

Digitalisierung im Einsatz – Interview mit Pia kleine Stüve von der Evangelischen Heimstiftung

Portrait Pia kleine Stüve
Pia kleine Stüve

Um einen Einblick zu geben, wie Digitalisierung im praktischen Einsatz aussehen kann, haben wir Frau Pia kleine Stüve, Referatsleiterin für Assistenzsysteme und Digitalisierung in der Evangelischen Heimstiftung, nach Ihren Erfahrungen mit der Vereinbarung digitaler Technologie in der Pflege befragt.

Welche Maßnahmen ergreift oder plant die Evangelische Heimstiftung im Bereich Digitalisierung?

Die Unternehmensstrategie der Evangelischen Heimstiftung (EHS) umfasst acht Strategiefelder. Inhalt der Unternehmensstrategie ist, wie die EHS ihre Unternehmensziele erreichen will und wie die EHS auf aktuelle Trends in Wirtschaft und Gesellschaft reagiert. Das Strategiefeld „Digitalisierung“ zielt auf die Fragestellung „Wie bringen wir Menschen und Technik zusammen?“ ab. Im Rahmen der Digitalisierungsstrategie werden Projekte mit diversen Schwerpunkten realisiert. Als Beispiel ist die Optimierung von Geschäftsprozessen oder der Bürger-Profi-Technik-Mix im Quartier zu erwähnen. Dabei soll die Digitalisierung Prozesse in den Einrichtungen optimieren, die Mitarbeiter:innen vor Ort entlasten und damit die Qualität der Pflege erhöhen. Spezifische Fachreferate bei der EHS setzen die Anforderungen der Digitalisierungsstrategie um und transferieren Inhalte aus der Theorie in die Praxis. 

Das Referat Assistenzsysteme und Digitalisierung setzt dabei den Fokus auf „Alltagsunterstützende Assistenzsysteme mit Dienstleistungen“, kurz ALADIEN, welches als Symbol für die digitale Strategie der EHS dient. Weitere Informationen zum Thema Innovationen und ALADIEN sind auf der Website der EHS zu finden. 

 

Was finden Sie besonders wichtig, wenn es um Digitalisierung in der Pflege geht?

Bei Entwicklung und Durchführung von Projekten sollte der Mensch im Mittelpunkt stehen. Der partizipative Ansatz ermöglicht es, Nutzer:innen miteinzubeziehen und die Bedarfe sowie Bedürfnisse zu erheben. So können wir sicherstellen, dass sich Konzepte an den Wünschen unserer Kund:innen sowie an der Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen orientieren. 

Ebenso wichtig ist es die Mitarbeiter:innen mitzunehmen und für Neues zu begeistern. Das Mindset einzelner Personen spielt hierbei eine große Rolle und wird insbesondere von den Führungskräften mit in die Einrichtungen getragen. 

 

Können sie uns von einem Projekt erzählen, wo sie Sensoren bisher praktisch in der Pflege eingesetzt haben? 

ALADIEN wird bereits seit 2017 in unseren WohnenPLUS-Residenzen und im Betreuten Wohnen der EHS eingesetzt. Ebenso unterstützt das System bereits in drei ambulant betreuten Wohngemeinschaften die Alltagsbegleiter:innen bei der täglichen Betreuung. Das System wird fortlaufend gemeinsam mit escos automation GmbH aus Berlin weiterentwickelt und soll perspektivisch in allen Neubauten und sanierten Bestandsgebäuden zum Einsatz kommen. Aktuell sind bereits 700 Wohnungen an 22 Standorten mit dem System ausgestattet. Das Zusammenspiel der verschiedenen Sensoren in den Wohnräumen sorgt für die Sicherheit und den Komfort der Bewohner:innen. Die intelligenten Systeme erkennen Gefahren, erleichtern den Alltag und rufen im Notfall Hilfe. (sh. Bild) 

Weiterhin testen wir derzeit ein Produkt im Bereich der Inkontinenzversorgung. Durch eine neue Sensortechnik wird eine Information zum Sättigungsgrad der Inkontinenzprodukte sowie zur Körperhaltung ermittelt. Über eine App auf dem Smartphone werden die Fachkräfte über den Status informiert und können rechtzeitig auf einen Wechsel der Produkte reagieren. 
 

Welche Erkenntnissee haben Sie gewonnen und was für Auswirkungen hatte das Projekt für Pflegebedürftige und Mitarbeiter:innen in Ihrer Einrichtung?

Das ALADIEN-System in den Wohnungen hat sich zum positiven auf das Sicherheitsgefühl der Bewohner:innen ausgewirkt. Durch die Inaktivitätserkennung und das angebundene Notrufsystem, kann zu jeder Tages- und Nachtzeit Hilfe angefordert werden. Ebenso erleben die Bewohner:innen durch die Tablet-Anwendungen mehr Komfort und können beispielsweise die Eingangstür komfortabel über das Tablet öffnen. 

ALADIEN in den ambulant betreuten Wohngemeinschaften hat es möglich gemacht, dass die Mitarbeiter:innen der Alltagsbegleitung unmittelbar über Auffälligkeiten über eine App informiert werden und die Kund:innen die benötige Unterstützung erhalten. 

Durch die Sensorik im Bereich der Inkontinenzversorgung zeigen sich ebenso hohe Mehrwerte für Mitarbeiter:innen und die Kund:innen. Die Nachtruhe wird gesteigert und eine individuelle Versorgung ermöglicht. Wir konnten eine deutliche Zeitersparnis feststellen, sodass die Fachkräfte ihre Zeit anderweitig nutzen können. 

 

Welche Herausforderungen hatten sie beim Einsatz von Sensoren in der Praxis?

Voraussetzung für ein gelingendes Projekt ist die technische Infrastruktur. Ein flächendeckendes WLAN ermöglicht mehr Freiheit bei der Wahl der Sensorik und vereinfacht die Umsetzung in den Einrichtungen. Bei jeder Einführung eines neuen Produktes oder eines neuen Systems sind Schulungen für die Mitarbeiter:innen unabdinglich. Hier alle Mitarbeiter:innen zu erreichen und zu informieren, bedarf je nach Größe des Trägers viel Aufwand und eine sehr gute Vorbereitung. In vielen Fällen unterstützen hier auch die Anbieter der Produkte. Um auch nach der Einführung von Produkten die Nutzung aufrechtzuerhalten, sollte ein Support gewährleistet sein, der sich um die Belange der Nutzer:innen kümmert. 

Sicherlich ist einer der größten Herausforderung die Finanzierung von Projekten, um diese nachhaltig und erfolgreich umzusetzen.

Digitalisierungsstrategie des Bundgesundheitsministeriums

Optimierung, Digitalisierung und Kundenzentrierung von Prozessen

Mit diesem Maßnahmenfeld sollen Arbeitsabläufe effizienter gestaltet und ggf. durch die Nutzung von Technologien aktuelle Prozesse mit hohem Zeitaufwand abgeschafft werden. Dies betrifft im Gesundheits- und Pflegewesen sowohl Abläufe, die der Verwaltung, aber auch der Versorgung dienen. Das kann die Nutzung von elektronischer Kommunikation anstelle der Versendung von Unterlagen, oder die automatische Ermittlung von Gesundheitsdaten über Wearables anstelle von manuellen Messungen durch Pflegekräfte oder Ärzt:innen sein. Durch solche Veränderungen kann Zeit gewonnen werden, die für die Versorgung und Pflege von Patient:innen und die Entlastung von Arbeiter:innen genutzt werden kann.

Generierung und Nutzung von qualitativen Gesundheits- und Pflegedaten

Daten von und über Patient:innen sollen einen einheitlichen, qualitativ hochwertigen, Standard bekommen. So können diese strukturiert und einfach für Fachpersonal zugänglich gemacht werden, damit zeitnah auf alle relevanten Daten für eine Behandlung zugegriffen werden kann. Ebenfalls sollen Patient:innen sicher auf ihre persönlichen Daten zugreifen können und bestimmen, welchen Personen sie Erlaubnis für die Einsicht in ihre Dokumente geben.

Um Krankheitsbilder besser erforschen zu können, sollen die digital verfügbaren Daten anonymisiert auch für Forschungszwecke nutzbar gemacht werden, damit Krankheitsbilder besser erforscht und die Versorgungsqualität gesteigert werden kann.

Technologien, Anwendungen und digitale Innovation
Schaubild DUCAH

DUCAH für mehr digitale Innovation in Pflege und Gesundheit

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