Digitalisierung in der Pflege: Mehr Zeit für Pflege und Mensch
Pflege, ob durch Angehörige oder professionelles Pflegepersonal, ob in den eigenen vier Wänden oder stationär, findet von Menschen für Menschen statt. Jedoch wird in der heutigen Zeit der Pflegeberuf immer anspruchsvoller. Der demografische Wandel sorgt zusätzlich für einen Fachkräftemangel. So wird es für Pflegekräfte immer schwerer, sich bei der Vielzahl von Aufgaben angemessen Zeit für die zu pflegenden Personen nehmen zu können.
Können Technik und Digitalisierung dabei helfen, den immer größer werdenden Herausforderungen für die Pflege zu begegnen? Was muss dabei beachtet werden? Gibt es bereits Initiativen?
Inhaltsverzeichnis
- Digitalisierung auf einen Blick
- Herausforderungen in der Pflege
- Chancen der Digitalisierung für die Pflege
- Herausforderungen und Risiken der Digitalisierung
- Digitalisierung im Einsatz – Interview mit der Evangelischen Heimstiftung
- Digitalisierungsstrategie des Bundgesundheitsministeriums
- DUCAH für mehr digitale Innovation in Pflege und Gesundheit
Digitalisierung auf einen Blick
Der Begriff Digitalisierung wird in vielen verschiedenen Kontexten und Situationen verwendet und kann unterschiedlich aufgefasst werden. Häufig ist jedoch gemeint, etwas Analoges in die digitale Welt zu überführen. Dieses „Etwas“ können strukturierte Daten aller Art sein, seien es Unterlagen, Texte, Bilder oder auch Arbeitsabläufe.
Dabei kann sich die Art, wie gearbeitet wird, drastisch verändern: Wo vorher noch viel Zeit für die händische Erfassung von Zahlen und Daten oder das Erstellen von Auswertungen verwendet wurde, können diese Tätigkeiten mithilfe von Technologien deutlich beschleunigt oder sogar automatisiert werden: Daten werden im richtigen Format automatisch erfasst und durch Algorithmen oder künstliche Intelligenz (KI) mit wenigen Klicks aufbereitet. Auf diese Weise kann sich der Fokus verschieben, welche Arbeitsabläufe den Alltag dominieren und mehr Zeit für andere Tätigkeiten schaffen. Es können sogar gänzlich neue Berufsbilder mit veränderten Tätigkeiten entstehen.
Mithilfe der fortschreitenden Digitalisierung ergibt sich eine weitere Möglichkeit: Die Vernetzung von Systemen, auch genannt Internet of Things (IoT). Dabei werden einzelne Geräte und Systeme untereinander verbunden und stehen im ständigen Datenaustausch. So ergeben sich neue Möglichkeiten der Informationsgewinnung und daraus resultierend Anwendungsmöglichkeiten.
Herausforderungen in der Pflege
Es ist kein Geheimnis, dass das Pflegewesen aktuell unter Druck steht. Die Bevölkerung in Deutschland altert und der Pflegebedarf erhöht sich. Hinzu kommt, dass das Risiko, auf Pflege angewiesen zu sein, sich mit steigendem Alter vergrößert. Innerhalb von zehn Jahren, von 2011 bis 2021, hat sich die Anzahl an Pflegebedürftigen in Deutschland verdoppelt. Waren es im Jahr 2011 noch 2,5 Millionen, lag die Zahl im Jahr 2021 bei 4,96 Millionen betroffenen Menschen. Dabei werden über 63 % der Pflegebedürftigen von Angehörigen und 21 % von ambulanten Diensten versorgt. Die restlichen 16 % werden vollstationär versorgt (Quelle: Statistisches Bundesamt). Dabei ist nicht zu vernachlässigen: Die pflegenden Angehörigen, die den Großteil der Pflegearbeit in Deutschland übernehmen, werden ebenfalls älter und können, mit zunehmendem Alter, selbst nicht mehr alle Pflegetätigkeiten übernehmen.
Auch die Pflegekräfte selbst werden älter: Im Jahr 2021 lag der Anteil von Pflegekräften mit einem Alter über 60 Jahren bei 14 %. Der Anteil von 50- bis 60-Jährigen ist der größte mit 27 %, sagt das statistische Bundesamt.
Durch den demografischen Wandel und den damit wachsenden Pflegebedarf steigt in Deutschland auch die Nachfrage nach Pflegepersonal. Häufig fehlen jedoch wertvolle Mitarbeiter:innen. So steigt die Belastung der Pflegekräfte. Hinzu kommt, dass in Pflegeheimen im Jahr 2021 nur ca. 29 % und in ambulanten Pflegediensten nur ca. 28 % der Mitarbeiter:innen in Vollzeit beschäftigt waren (Quelle: Statistisches Bundesamt). Der Großteil der Beschäftigten arbeitet also nur in Teilzeit.
Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass für Mitarbeiter:innen im Pflegewesen die Pflegetätigkeiten oft nur einen Teil der tatsächlichen Arbeitszeit einnehmen. Die meisten Maßnahmen müssen dokumentiert werden und dies nimmt Zeit in Anspruch, die an anderer Stelle für die Pflege verwendet werden könnte. Laut Statistischem Bundesamt hat im Jahr 2013 der Aufwand für Pflegedokumentation einer einzelnen pflegebedürftigen Person in der stationären Pflege durchschnittlich 15,8 und in der ambulanten Pflege durchschnittlich 10,4 Minuten pro Tag in Anspruch genommen. Je nach Betreuungsschlüssel und Patient:innen pro Tag, nimmt der Dokumentationsaufwand einen beachtlichen Teil der Arbeitszeit ein: Rechnet man mit 10 Patient:innen pro Tag, verwendet eine Pflegekraft in der stationären Pflege fast 2:38 Stunden und in der ambulanten Pflege 1:44 Stunden für die reine Pflegedokumentation.
Kernprobleme in der Pflege können zusammengefasst werden in:
- Dokumentationspflichten
- Hoher Pflegebedarf
- Personalmangel
Chancen der Digitalisierung für die Pflege
Digitalisierung kann helfen, Probleme zu lösen und das Pflegewesen und deren Mitarbeiter:innen zu entlasten. Hier finden sich ausgewählte Aspekte:
Digitalisierung der Dokumentation
Der hohe Dokumentationsaufwand von Pflegemaßnahmen, Gesundheitsdaten und Historien von Patient:innen in Pflegeheimen und bei der ambulanten Pflege könnte mithilfe von Digitalisierung verbessert werden. Anstelle von händischer Dokumentation durch Mitarbeiter:innen könnten gemessene Daten wie Blutdruck, Puls etc. mobil per Tablet bzw. Smartphone erfasst werden. In einem vernetzten System (Internet of Things) könnten diese sogar automatisch und in regelmäßigen Abständen erfasst werden, sodass diese einfach zur Verfügung stehen würden: Das Blutdruckmessgerät übermittelt die gemessenen Puls- und Blutdruckinformationen an das System. Diese können durch die Mitarbeiter:in sofort auf einem Tablet eingesehen werden. Auch die anderen Mitarbeiter:innen können sofort darauf zugreifen. Mit der Nutzung mobiler Geräte, wie Tablets oder Smartphones, können Pflegekräfte mobil, ohne Unterlagen transportieren zu müssen, einen Überblick über Patient:innen bekommen. Auf diese Weise wird die Zeit gespart, die für die manuelle Dokumentation und das Übertragen in das Computersystem aufgewendet werden muss. Ebenfalls können die wichtigen Daten nicht verloren oder verlegt werden.
Unterstützung mit Sensorik
Sensorik erlaubt es Pfleger:innen sowohl in der häuslichen als auch ambulanten Pflege, ihre Rundgänge anders zu gestalten: Anstelle von ausschließlich regelmäßigen Routinerundgängen, kann ebenfalls bedarfsgerecht den Pflegebedürftigen geholfen werden. Nässesensoren in Betten können automatisch eine Meldung geben und Pflegekräfte informieren: Eine Benachrichtigung auf ihrem mobilen Gerät weist sie darauf hin und sie können den betroffenen Personen helfen. So wird ebenfalls für Betroffene vermieden, eine längere Zeit auf Hilfe zu warten, wenn nicht bekannt ist, dass diese Hilfe benötigen, weil ein Rundgang gerade stattgefunden hat.
Ebenfalls können Pflegebedürftige mit Sturzsensoren unterstützt werden, sodass sofort die benötigte Hilfe informiert werden kann. Diese Sensoren können auch Informationen weitergeben, wenn sich die Träger:innen eine ungewöhnlich lange Zeit nicht bewegt haben. Besonders in der häuslichen Pflege, sowohl von ambulanten Diensten als auch pflegenden Angehörigen, können Sturzsensoren einen großen Unterschied machen. Die Betroffenen können zeitnah benötigte Hilfe bekommen und verbringen so kürzere Zeiträume gestürzt, auf dem Boden.
Mit Sensorik können aber auch unscheinbarere Aufgaben erledigt und die Lebensqualität für Pflegebedürftige im Alltag erhöht werden: Eine Person im Pflegeheim muss nachts zum WC. Steht diese auf, kann ein Bewegungssensor das Licht anschalten, damit der Gang zur Toilette beleuchtet wird.
Die Evangelische Heimstiftung hat ein Projekt für ein unterstütztes Wohnen mit Sensorik: „ALADIEN“. Hier werden in verschiedenen Räumen Sensoren installiert, die verschiedene Aufgaben erfüllen. Folgende Systeme sind verbaut:
- Inaktivitätsmelder – um zu erkennen, wenn sich Personen länger als normal nicht bewegen
- Orientierungslicht – um bei Nacht auch sicher durch die Wohnung navigieren zu können
- Herdsicherheit – um den Herd bei Vergessen automatisch abzuschalten
- Sturzerkennung – um Stürze zu erkennen und Hilfe zu rufen
- Hausnotruf – um Alarme an eine Notrufzentrale zu senden
Für weitere Informationen und die Erfahrung der Evangelischen Heimstiftung mit dem Einsatz von Sensorik, haben wir die Evangelische Heimstiftung interviewt. Mehr dazu später im Beitrag.
Roboter in der Pflege
Es gibt Ideen und Initiativen für eine Unterstützung in der Pflege durch Roboter. Dabei kann man diese in verschiedene Arten unterteilen:
- Serviceroboter: Diese können kleine Aufgaben erfüllen und Dinge transportieren.
- Heberoboter: Sollen Pflegekräfte körperlich entlasten und Pflegebedürftige heben können.
- Soziale Roboter: Können mit Menschen interagieren und sich unterhalten.
Aktuell werden überwiegend nur Service- und soziale Roboter in Pilotprojekten getestet. Serviceroboter könnten Menschen bspw. Essen und Trinken oder Medikamente bringen, sofern die Pflegebedürftigen in der Lage sind, selbstständig diese Dinge zu sich zu nehmen. Sie können für Pflegekräfte Botengänge erledigen und diese zeitlich so entlasten.
Soziale Roboter können das Pflege- und Gesundheitswesen unterstützen, indem diese mit Pflegebedürftigen und Patient:innen interagieren, sich mit ihnen unterhalten oder einfach Zeit mit ihnen verbringen. So sollen diese Personen sich wohler fühlen, weniger Zeit allein verbringen und mit den Robotern mehr Interaktion erleben. Natürlich können Roboter keinen menschlichen Kontakt ersetzen, aber temporär eine Ablenkung schaffen.
Die Evangelische Heimstiftung und andere Träger planen den sozialen Roboter „Navel“ als Pilotprojekte in ihren Einrichtungen einzusetzen. In diesem Video sieht man den Roboter im Austausch mit dem Gründer der Herstellerfirma „navel robotics“, Claude Toussaint.
Digitale Pflegeanwendungen für Hilfe zur Selbsthilfe
Um Pflegebedürftige schon zuhause zu unterstützen, sind digitale Pflegeanwendungen (DiPa) geplant. Dies sind Programme / Apps, mit denen leichte Pflegetätigkeiten selbstständig durchgeführt werden können. Nutzende können mithilfe bspw. von Apps und Wearables Übungen durchführen oder individuelle Gesundheitstipps bekommen. Aktuell gibt es noch keine offiziell zugelassenen digitalen Pflegeanwendungen, diese sollen im Laufe des Jahres 2023 eingeführt werden.
Herausforderungen und Risiken der Digitalisierung
Digitaler Wandel und digitale Kompetenz
Eine digitale und vernetzte Welt entsteht nicht von einem auf den anderen Tag. Eine Umstellung braucht Zeit und Mühe. Wenn Mitarbeiter:innen von einer papierhaften- auf eine digitale, ggf. (teil-)automatisierte Dokumentation wechseln sollen, kann nicht erwartet werden, dass jede:r sofort damit umgehen kann. Eine Arbeit mit unbekannten Systemen ist zunächst weniger effizient und effektiv als eine bekannte Art der Durchführung: Es muss sich erst daran gewöhnt werden und eine Einarbeitung muss stattfinden. Auch Widerstand gegen eine Veränderung kann vorkommen, wenn nach mehreren Jahren der gleichen Tätigkeit nun der Ablauf ein anderer ist.
Für einen souveränen Umgang mit neuen Technologien und gelungene Veränderungsprozesse, muss es entsprechende Schulungen und eine umfangreiche Begleitung der Veränderung geben. Das benötigt zwar Zeit, Aufwand sowie auch individuelle Unterstützung für einzelne Personen, führt aber am Ende zu einer erfolgreichen Umstellung und nachhaltigen Veränderung.
Datenschutz
Wenn nun durch verschiedene Kanäle Patienten- und Pflegedaten digital gespeichert werden, muss sich auch mit dem entsprechenden Datenschutz dieser beschäftigt werden. Gesundheitsdaten sind sehr sensibel und können viel über die Personen verraten. Diese Daten unterliegen sogar einem besonderen Berufsgeheimnis und bei einem Verstoß gegen die Schweigepflicht kann dieser strafrechtlich verfolgt werden.
Diese Daten sind also besonders schützenswert und sorgsam zu behandeln. Idealerweise sollten Institutionen deshalb nur Daten, die für die Behandlung wirklich notwendig sind, erfassen. Häufig sind weiterführende personenbezogene Daten auch nur möglich zu erheben, wenn eine entsprechende Erlaubnis der Personen vorliegt.
Weitere Informationen auf Datenschutz.org.
Ethische Fragestellungen
Die Nutzung oder das Testen von durch künstliche Intelligenz oder Automatisierung gestützte digitale Anwendungen oder Robotik in der Pflege, wirft einige ethische Fragen auf: Ist es vertretbar, das Pflegebedürftige von Robotern gepflegt werden bzw. die Pflege mit Robotern unterstützt wird? Wie groß darf der automatische oder durch KI gestützte Teil der Pflege maximal sein? Was ist, wenn der Pflegebedarf so groß ist und dieser nur durch Roboter abgedeckt werden kann?
Diese Fragen sollten beim Einsatz von KI und Robotik in der Pflege beachtet und sich kritisch damit auseinandergesetzt werden.
Digitalisierung im Einsatz – Interview mit Pia kleine Stüve von der Evangelischen Heimstiftung
Um einen Einblick zu geben, wie Digitalisierung im praktischen Einsatz aussehen kann, haben wir Frau Pia kleine Stüve, Referatsleiterin für Assistenzsysteme und Digitalisierung in der Evangelischen Heimstiftung, nach Ihren Erfahrungen mit der Vereinbarung digitaler Technologie in der Pflege befragt.
Welche Maßnahmen ergreift oder plant die Evangelische Heimstiftung im Bereich Digitalisierung?
Die Unternehmensstrategie der Evangelischen Heimstiftung (EHS) umfasst acht Strategiefelder. Inhalt der Unternehmensstrategie ist, wie die EHS ihre Unternehmensziele erreichen will und wie die EHS auf aktuelle Trends in Wirtschaft und Gesellschaft reagiert. Das Strategiefeld „Digitalisierung“ zielt auf die Fragestellung „Wie bringen wir Menschen und Technik zusammen?“ ab. Im Rahmen der Digitalisierungsstrategie werden Projekte mit diversen Schwerpunkten realisiert. Als Beispiel ist die Optimierung von Geschäftsprozessen oder der Bürger-Profi-Technik-Mix im Quartier zu erwähnen. Dabei soll die Digitalisierung Prozesse in den Einrichtungen optimieren, die Mitarbeiter:innen vor Ort entlasten und damit die Qualität der Pflege erhöhen. Spezifische Fachreferate bei der EHS setzen die Anforderungen der Digitalisierungsstrategie um und transferieren Inhalte aus der Theorie in die Praxis.
Das Referat Assistenzsysteme und Digitalisierung setzt dabei den Fokus auf „Alltagsunterstützende Assistenzsysteme mit Dienstleistungen“, kurz ALADIEN, welches als Symbol für die digitale Strategie der EHS dient. Weitere Informationen zum Thema Innovationen und ALADIEN sind auf der Website der EHS zu finden.
Was finden Sie besonders wichtig, wenn es um Digitalisierung in der Pflege geht?
Bei Entwicklung und Durchführung von Projekten sollte der Mensch im Mittelpunkt stehen. Der partizipative Ansatz ermöglicht es, Nutzer:innen miteinzubeziehen und die Bedarfe sowie Bedürfnisse zu erheben. So können wir sicherstellen, dass sich Konzepte an den Wünschen unserer Kund:innen sowie an der Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen orientieren.
Ebenso wichtig ist es die Mitarbeiter:innen mitzunehmen und für Neues zu begeistern. Das Mindset einzelner Personen spielt hierbei eine große Rolle und wird insbesondere von den Führungskräften mit in die Einrichtungen getragen.
Können sie uns von einem Projekt erzählen, wo sie Sensoren bisher praktisch in der Pflege eingesetzt haben?
ALADIEN wird bereits seit 2017 in unseren WohnenPLUS-Residenzen und im Betreuten Wohnen der EHS eingesetzt. Ebenso unterstützt das System bereits in drei ambulant betreuten Wohngemeinschaften die Alltagsbegleiter:innen bei der täglichen Betreuung. Das System wird fortlaufend gemeinsam mit escos automation GmbH aus Berlin weiterentwickelt und soll perspektivisch in allen Neubauten und sanierten Bestandsgebäuden zum Einsatz kommen. Aktuell sind bereits 700 Wohnungen an 22 Standorten mit dem System ausgestattet. Das Zusammenspiel der verschiedenen Sensoren in den Wohnräumen sorgt für die Sicherheit und den Komfort der Bewohner:innen. Die intelligenten Systeme erkennen Gefahren, erleichtern den Alltag und rufen im Notfall Hilfe. (sh. Bild)
Weiterhin testen wir derzeit ein Produkt im Bereich der Inkontinenzversorgung. Durch eine neue Sensortechnik wird eine Information zum Sättigungsgrad der Inkontinenzprodukte sowie zur Körperhaltung ermittelt. Über eine App auf dem Smartphone werden die Fachkräfte über den Status informiert und können rechtzeitig auf einen Wechsel der Produkte reagieren.
Welche Erkenntnissee haben Sie gewonnen und was für Auswirkungen hatte das Projekt für Pflegebedürftige und Mitarbeiter:innen in Ihrer Einrichtung?
Das ALADIEN-System in den Wohnungen hat sich zum positiven auf das Sicherheitsgefühl der Bewohner:innen ausgewirkt. Durch die Inaktivitätserkennung und das angebundene Notrufsystem, kann zu jeder Tages- und Nachtzeit Hilfe angefordert werden. Ebenso erleben die Bewohner:innen durch die Tablet-Anwendungen mehr Komfort und können beispielsweise die Eingangstür komfortabel über das Tablet öffnen.
ALADIEN in den ambulant betreuten Wohngemeinschaften hat es möglich gemacht, dass die Mitarbeiter:innen der Alltagsbegleitung unmittelbar über Auffälligkeiten über eine App informiert werden und die Kund:innen die benötige Unterstützung erhalten.
Durch die Sensorik im Bereich der Inkontinenzversorgung zeigen sich ebenso hohe Mehrwerte für Mitarbeiter:innen und die Kund:innen. Die Nachtruhe wird gesteigert und eine individuelle Versorgung ermöglicht. Wir konnten eine deutliche Zeitersparnis feststellen, sodass die Fachkräfte ihre Zeit anderweitig nutzen können.
Welche Herausforderungen hatten sie beim Einsatz von Sensoren in der Praxis?
Voraussetzung für ein gelingendes Projekt ist die technische Infrastruktur. Ein flächendeckendes WLAN ermöglicht mehr Freiheit bei der Wahl der Sensorik und vereinfacht die Umsetzung in den Einrichtungen. Bei jeder Einführung eines neuen Produktes oder eines neuen Systems sind Schulungen für die Mitarbeiter:innen unabdinglich. Hier alle Mitarbeiter:innen zu erreichen und zu informieren, bedarf je nach Größe des Trägers viel Aufwand und eine sehr gute Vorbereitung. In vielen Fällen unterstützen hier auch die Anbieter der Produkte. Um auch nach der Einführung von Produkten die Nutzung aufrechtzuerhalten, sollte ein Support gewährleistet sein, der sich um die Belange der Nutzer:innen kümmert.
Sicherlich ist einer der größten Herausforderung die Finanzierung von Projekten, um diese nachhaltig und erfolgreich umzusetzen.
Digitalisierungsstrategie des Bundgesundheitsministeriums
Auch das Bundesgesundheitsministerium (BGM) hat die Notwendigkeit der Digitalisierung erkannt und gemeinsam mit weiteren teilhabenden Interessensgruppen eine Strategie für das Gesundheits- und Pflegewesen entwickelt: „Gemeinsam Digital“. Mithilfe dieser soll das Gesundheits- und Pflegesystem zukunftsfähig aufgestellt, Mitarbeiter:innen unterstützt und entlastet und Patient:innen, sowie deren Gesundheit, in den Mittelpunkt gestellt werden.
Das BGM hat dabei drei zentrale Handlungsfelder als strategische Kernmaßnahmen in den Fokus gestellt:
Mit diesem Maßnahmenfeld sollen Arbeitsabläufe effizienter gestaltet und ggf. durch die Nutzung von Technologien aktuelle Prozesse mit hohem Zeitaufwand abgeschafft werden. Dies betrifft im Gesundheits- und Pflegewesen sowohl Abläufe, die der Verwaltung, aber auch der Versorgung dienen. Das kann die Nutzung von elektronischer Kommunikation anstelle der Versendung von Unterlagen, oder die automatische Ermittlung von Gesundheitsdaten über Wearables anstelle von manuellen Messungen durch Pflegekräfte oder Ärzt:innen sein. Durch solche Veränderungen kann Zeit gewonnen werden, die für die Versorgung und Pflege von Patient:innen und die Entlastung von Arbeiter:innen genutzt werden kann.
Daten von und über Patient:innen sollen einen einheitlichen, qualitativ hochwertigen, Standard bekommen. So können diese strukturiert und einfach für Fachpersonal zugänglich gemacht werden, damit zeitnah auf alle relevanten Daten für eine Behandlung zugegriffen werden kann. Ebenfalls sollen Patient:innen sicher auf ihre persönlichen Daten zugreifen können und bestimmen, welchen Personen sie Erlaubnis für die Einsicht in ihre Dokumente geben.
Um Krankheitsbilder besser erforschen zu können, sollen die digital verfügbaren Daten anonymisiert auch für Forschungszwecke nutzbar gemacht werden, damit Krankheitsbilder besser erforscht und die Versorgungsqualität gesteigert werden kann.
Es soll eine ineinandergreifende Anwendungs- und IT-Infrastruktur geschaffen werden. Diese soll für bessere interdisziplinäre Zusammenarbeit sorgen, indem übergreifend die gleichen IT-Landschaften verwendet werden. Patient:innen sollen zukünftig einbezogen werden und selbst Anliegen digital anstoßen können. Dabei soll die elektronische Patientenakte (ePA) als zentrale Anwendung fungieren und langfristig um weitere Themenbereiche erweitert werden. In diesem Bereich sollen auch digitale Gesundheits- und Pflegeanwendungen (DiGa/DiPa) eingeführt werden, die Patient:innen im Alltag unterstützen und die für Gesundheits- und Pflegewesen eine weitere Entlastung darstellen können.
DUCAH für mehr digitale Innovation in Pflege und Gesundheit
Um das Gesundheits- und Pflegewesen näher mit Forschung und Wissenschaft zu vernetzten, hat sich das Digital Urban Center for Aging and Health (DUCAH) gebildet. Dieses ist ein Zusammenschluss aus einer Vielzahl von Partner:innen aus der Gesundheits- und Sozialwirtschaft, Diakonie, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung. Die Evangelische Bank ist hier Gründungsmitglied.
In diesem Verbund werden Kontakte hergestellt und so können digitale Innovationen praxisnah, in Form von Prototypen, in Krankenhäusern, Pflegeheimen etc. getestet und weiterentwickelt werden. Forschung und Praxis beeinflussen sich so gegenseitig, mit dem Ziel, Pflegebedürftige, Angehörige, Pfleger:innen und Ärzt:innen zu unterstützen. Die Vision ist dabei, dass Pflegebedürftige so lange wie möglich selbstständig bleiben und eine hohe Lebensqualität behalten.
Um diese Vision zu erreichen, arbeitet DUCAH an „Besser-Leben-Quartieren“. Diese dienen als Vorreiter für wertvolle Forschungs- und Testergebnisse in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft, um Innovationen voranzutreiben. Hier werden digitale Innovationen in Einrichtungen, mit Begleitung von DUCAH, erprobt. Dabei stehen die Bewohner:innen, die Mitarbeiter:innen und Angehörige im Quartier im Fokus; Angehörige werden informiert und eingebunden, das Personal wird geschult und qualifiziert und alle Teilhabenden können von digitalen Neuerungen profitieren.
Auch Start-Ups werden über „DUCAH X“ mit diesen etablierten Institutionen in Verbindung gebracht. So wird es ermöglicht, dass digitale Start-Up-Ideen als Lösungen für die bekannten Probleme („wicked problems”) der Gesundheits- und Sozialbranche verwendet werden.
Interessierte können sich auf der Website von DUCAH informieren und mitwirken. So können auch Sie digitale Innovationen in der Pflege vorantreiben und die Menschen in ihren Einrichtungen in den Fokus stellen.
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