Dr. Claus Kleber im Interview: „Unsere Werte auf dem Prüfstand“
Dr. Claus Kleber ist Fernsehmoderator und eine der bedeutendsten Journalistenpersönlichkeiten in Deutschland. Mit seiner ruhigen und sachlichen Art prägt er seit vielen Jahren die deutsche Fernsehlandschaft und gilt als eine vertrauenswürdige Stimme in der Berichterstattung.
Auf der Generalversammlung der Evangelischen Bank im Juni 2023 hielt der ehemalige Moderator des ZDF- „heute journal“ eine Rede zum Thema „Zeitenwende – unsere Werte auf dem Prüfstand“. In einem anschließenden Interview betonte Kleber die gesellschaftlichen Herausforderungen als Folge des Kriegs in der Ukraine und die Verantwortung von Unternehmen in der Nachhaltigkeitstransformation.
Zeitenwende - ein Begriff, den Bundeskanzler Olaf Scholz geprägt hat, und der auch in Ihrem heutigen Vortrag eine wichtige Rolle spielte. Würden Sie sagen, dass diese Zeitenwende, in der wir uns befinden, auch bedeutet, dass unsere Werte hinterfragt werden?
C. Kleber: „Historische Veränderungen passieren in der Regel nicht schlagartig, sondern schleichend. Doch es gibt auch Momente, die von jetzt auf gleich klar machen, dass sich etwas verändert hat. So ein Moment war der 24. Februar, der Tag des russischen Einmarschs in die Ukraine und der Beginn dieses Krieges, welcher die geopolitischen Verhältnisse in der Welt grundlegend verändert hat. Wir müssen uns wieder darüber klar werden, was uns als Gesellschaft wirklich bewegt: Was ist das, was uns heilig ist? Was ist das, was uns wertvoll erscheint? Das müssen wir bestimmen und dann dafür eintreten.
In den letzten Jahrzehnten war es nicht mehr nötig, einen Preis für Frieden und Stabilität zu zahlen. Das ist jetzt anders, und daher ist es wichtig, über diese grundsätzlichen Fragestellungen miteinander zu sprechen. Also ja, unsere Werte wurden herausgefordert und stehen auf dem Prüfstand.“
Wie wahrscheinlich ist es aus Ihrer Sicht, dass sich die Werte der westlichen Welt durch die Krise festigen?
C. Kleber: „Das Ergebnis ist noch offen: Wie viel sind uns Demokratie, Freiheit, Selbstbestimmung und Menschenrechte wert? Was sind wir bereit, dafür zu tun? Was sind wir bereit, dafür zu zahlen oder aufzugeben? So triviale Dinge wie billiges Gas aus Russland haben uns als Industrieland natürlich geholfen. Die Frage ist: Nehmen wir hin, was Russland mit dem verdienten Geld macht, oder versuchen wir andere, vielleicht auch bescheidenere Wege zu gehen, um unseren Lebensstandard zu sichern, und nehmen die Konsequenzen in Kauf? Eine meiner Ansprechpartnerinnen in der Ukraine sagte bei unserem letzten Dreh: „Pazifismus ist ein Privileg. Du kannst nicht mehr Pazifist sein, wenn jemand dir oder deinem Kind eine Waffe an die Schläfe hält.“ Da wurde mir klar, dass wir in unserer Gesellschaft mit unseren 80 Jahren Frieden eine andere Kultur angenommen haben als die in der Ukraine. Wir haben ein anderes System von Selbstverständlichkeiten - und das wird jetzt herausgefordert.“
Was, glauben Sie, welche Risiken werden wir eingehen müssen, und welchen Preis müssen wir zahlen, um unsere Werte zu bewahren?
C. Kleber: „Es wird zukünftig vor allen Dingen eine gewisse Art von Unerschrockenheit verlangt. Die Sicherheit zwischen Ost und West hat bisher auf Verträgen und gegenseitigem Einvernehmen beruht. Dies wird jetzt wieder abgelöst durch ein System, das den Frieden durch Abschreckung garantiert. Das ist unheimlicher und gefährlicher als das andere System, aber wir haben keine Wahl. Von der Gesellschaft wird als Folge eine gewisse Festigkeit verlangt, von der ich nicht sicher bin, ob wir diese haben. Ich glaube, das ist eine der großen Fragen, denen wir uns in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren stellen müssen.“
Halten Sie es für möglich, dass am Ende dieser Entwicklung ein neuer Wertekanon entsteht?
C. Kleber: „Ich denke, dass sich das Bewusstsein für den Wert unserer Werte momentan wieder verstärkt hat. Diese Diskussion ist in der gesellschaftlichen Debatte präsent und die Herausforderung ist erkannt. Das halte ich für einen der positiven Aspekte in der Gesellschaft. Wie diese Debatte ausgeht, ist, wie bei allen demokratischen Prozessen, nicht vorherzusehen.“
Glauben Sie, dass auch die Wirtschaft eine neue Rolle in diesem Kontext finden muss?
C. Kleber: „Ich glaube, dass die Wirtschaft jetzt bereit ist, einen höheren Preis zu zahlen. Es gibt Tendenzen von „Derisking“ und „Decoupling“. Lieferketten werden wieder diversifiziert und der simple Wettbewerb um die billigste Quelle wird abgelöst durch kompliziertere Strategien, die am Ende aber zu einem ausgewogeneren Verhältnis der Quellen führen. Auch das Risiko einer plötzlichen Veränderung wird bereits stärker mit einkalkuliert. Ich hoffe, dass in diesen Strategien dann auch Werte wie Demokratie und Menschenrechte wieder eine Rolle spielen. Das Motto „Wandel durch Handel“ war oft auch eine Kaschierung für ganz normale Geschäftsinteressen. Jetzt wird uns klar, dass wir uns dadurch stark abhängig gemacht haben.“
Eine weitere Herausforderung mit gesellschaftlichen Auswirkungen ist der Klimawandel. Haben Sie den Eindruck, dass eine Bank wie die Evangelische Bank hier einen Beitrag leisten kann?
C. Kleber: „Banken können hier ganz sicher einen entscheidenden Beitrag leisten, denn auch ihre Kund:innen stellen sich darauf ein, dass Nachhaltigkeit ein wichtiger Faktor geworden ist. Doch der Einfluss ist noch größer: Wir als Journalisten berichten ständig über Umweltgipfel und Klimagipfel der Politik. Die eigentliche Wirkung dieser Konferenzen läuft über den Hebel der Finanzwelt, weil diese sich auf Trends einstellt. Wenn der Trend weggeht, zum Beispiel von fossilen Brennstoffen, wird es dadurch sehr viel schwieriger für Unternehmen, dafür die Finanzierung zu erhalten. Wenn der Wind aus einer anderen Richtung weht, stellt die Banken- und Finanzwelt ihre Segel neu ein. Das ist die eigentliche Hebelwirkung: Es läuft viel mehr über die Finanzwelt als viele Verbraucher:innen sich darüber im Klaren sind. Die Evangelische Bank kann gemeinsam mit der großen Zahl anderer Finanzinstitute eine erhebliche gesellschaftliche Wirkung entfalten.“
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