Energie aus der Natur – Wie die Energiewende vor Ort gelingen kann
Die Gemeinde Schipkau liegt inmitten der traditionsreichen Niederlausitzer Braunkohleregion. In der mehrere Ortsteile umfassenden Gemeinde leben insgesamt etwa 6.500 Einwohner. Die Region wurde über 100 Jahre hinweg von der Braunkohleförderung geprägt. Heute versteht sich die Gemeinde als innovativer Energieort. Sinnbildlich dafür stehen der Windpark Klettwitz sowie der Solarpark Meuro, die auf ehemaligen Tagebauflächen völlig schadstofffrei erneuerbare Energien für fast hunderttausend Haushalte erzeugen.
Im nachfolgenden Interview berichten Klaus Prietzel, Bürgermeister der Gemeinde Schipkau, und Petra Quittel, Einwohnerin des Ortsteils Annahütte, über die beiden Energieparks, die Mehrwerte für die Region und die Akzeptanz der Transformation in der Bevölkerung. Als Finanzierungspartner für die Projekte stand der Gemeinde die GP JOULE-Gruppe und die EB – Sustainable Investment Management GmbH (EB-SIM), eine Tochtergesellschaft der Evangelischen Bank, über den erneuerbare Energien Fonds Europa zur Seite.
Herr Prietzel, seit Ende der 1990er Jahre befinden sich bereits Windkraftanlagen in der Lausitz. Im Jahr 2022 kamen Solarparks hinzu, das Projekt wächst seither stetig. Können Sie beschreiben, welche Herausforderungen bei der Transformation der Gemeinde Schipkau vom Braunkohle-Tagebau hin zu einem Vorzeigeprojekt für erneuerbare Energien bewältigt werden mussten?
Prietzel: Die größte Herausforderung für unsere Gemeinde waren die Behördengänge. Diese haben uns ein wenig gebremst und bei verschiedenen Maßnahmen auch zu Verzögerungen geführt. Diese Anfangsschwierigkeiten haben wir jedoch bewusst in Kauf genommen. Denn wir sind eine Kohlefolgeregion und hatten viele Jahre eine Hochkippe, also eine Halde, die durch das Aufschütten von Abraum aus einem Tagebau entstanden ist. Aufgrund der kargen Böden ist es bei uns zudem kaum möglich, landwirtschaftlich oder forstwirtschaftlich Erträge zu erzielen. Deshalb haben wir uns im Jahr 2000 dazu entschieden, Windkraftanlagen auf dem Gebiet des ehemaligen Braunkohletagebaus zu bauen. Um das Ganze zu komprimieren, haben wir ergänzend Solarparks errichtet. Hierfür brauchten wir keine zusätzlichen Flächen beanspruchen, die Erträge sind insgesamt um ein Vielfaches gestiegen.
Das klingt nach einem mutigen, aber auch spannenden Weg. Frau Quittel, wie haben Sie persönlich den Umstieg auf erneuerbare Energien im ehemaligen Braunkohlerevier erlebt?
Quittel: Wenn ich mich zurückerinnere, wie wir 1990 mit dem ersten Windpark auf der Hochkippe angefangen haben, kommen mir große Versammlungen in den Sinn. Wir haben über Auswirkungen oder auch über den Schattenschlag diskutiert. Damals waren die Versammlungen noch etwas ungeordnet mit viel Bürgergegenwehr. Gleichzeitig haben wir aber alle auf diesen Weg mitgenommen und es gab viel Austausch.
Ein schöner Satz eines ehemaligen Braunkohletagebauers ist mir seitdem in Erinnerung geblieben:
„Wir waren immer eine Energieregion hier in Schipkau. Wir haben seit jeher Kohle zu Energie bzw. zu Strom gemacht. Da ist es logisch, dass diese Fläche jetzt auch weiter als Energiefläche genutzt werden kann.”
Wir wollen hier keinen Tagebau mehr betreiben, weil wir wissen, was dieser noch viele Jahre später für Folgen hat. Das reicht von braunem ockerhaltigem Wasser, der Vernichtung von Naturflächen bis hin zu Menschen, die ihre Häuser und ihre Heimat verlieren. Das ist hier noch allen allgegenwärtig.
Herr Prietzel, wie haben sich die Investitionen in erneuerbare Energien auf die Wirtschaft und Beschäftigung in der Gemeinde Schipkau ausgewirkt?
Prietzel: Im ersten Schritt haben sich die Investitionen eher indirekt auf unsere Wirtschaft ausgewirkt. Wir haben im Jahr 2015 mit dem Repowering der Windparks und später mit der Errichtung der Solarfelder ein Bürgerbonusmodell in Schipkau eingeführt. Durch dieses bekommt jede Einwohner:in pro Jahr 80,00 €. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wurde das Angebot etwas angepasst, sodass die Auszahlungen seit dem Jahr 2020 alle zwei Jahre erfolgen. Insgesamt konnten bereits über 3.000.000 € an unsere Einwohner:innen ausgezahlt werden, sodass jede Person, die in der Gemeinde gemeldet ist, profitiert.
Das Modell lohnt sich auch für die Gemeinde, denn die Einwohner geben einen Teil des erhaltenen Geldes hier in der Gemeinde Schipkau wieder aus. Das zeigt sich auch bei unserem Mittelstand, dem es relativ gut geht, gerade in der aktuell schwierigen Zeit.
Und auch zukünftig haben Unternehmen weiterhin Interesse an unserer Region. So haben wir aktuell einen ehemaligen Flugplatz von 120 Hektar, den wir zu einem Industriegebiet ausbauen wollen. Hieran gibt es weltweit Interesse, da die Unternehmen wissen, dass sie hier erneuerbare Energien und damit grünen Strom nutzen können. Das könnte künftig noch einen weiteren Schub für die ganze Region bringen.
Was Sie jetzt aufgeführt haben, sind sehr viele Vorteile. Oftmals gibt es aber auch Vorurteile gegenüber dem Ausbau von erneuerbaren Energien. Frau Quittel, wie war das in der Gemeinde Schipkau? Waren von Anfang an alle von den erneuerbaren Energien überzeugt?
Quittel: Es wäre utopisch zu denken, dass alle sofort mit wehenden Fahnen dafür sind. Man merkt aber eine breite Akzeptanz. Das liegt vor allem daran, dass wir Bürger:innen mit unseren Sorgen wahrgenommen werden. Wir haben beispielsweise eine hohe Wilddichte in unserer Region, da sich die Tiere hier gut zurückziehen können. Der Umgang mit diesem Thema wird nicht außer Acht gelassen, in die Kommunikation eingebunden und später auch durch Monitoring überwacht.
Neben der Ankündigung des Bürgerstrommodells haben wir beispielsweise auch in vielen Gemeinderatssitzungen Transparenz über die möglichen Einnahmen für den Haushalt der Gemeinde Schipkau erhalten. Über die Jahre hat sich gezeigt, dass die Gemeinde dadurch gut aufgestellt ist und die Infrastruktur der Gemeinde entsprechend weiterentwickelt werden konnte.
Sie haben schon das Bürgerbonusmodell erwähnt. Gibt es weitere Vorteile, die Sie beschreiben können, von denen die Menschen in der Region profitieren?
Quittel:
Ein Feuerwehrauto beispielsweise ist ein Gemeinschaftsmehrwert in einem Ortsteil. Wir haben gut ausgebaute Feuerwehren mit moderner Technik, was es attraktiv macht, bei uns in der Freiwilligen Feuerwehr mitzuarbeiten und mitzumachen. Dort gibt es einen guten Zusammenhalt, was wiederum einen Mehrwert für die Gemeinde schafft.
Außerdem konnten wir durch die Gewerbesteuereinnahmen Kitas und Schulen auf einen modernen Stand bringen, gut ausstatten und ausbauen. Insgesamt haben wir für die Infrastruktur der Gemeinde Schipkau viel gemacht.
Das wird schnell vergessen, aber das geht nur, wenn eine Gemeinde auch ein Polster im Gemeindehaushalt hat.
Wird die Transformation in der Gemeinde Schipkau weitergehen?
Prietzel: Wir planen natürlich weiterhin mehrere Projekte. Unter anderem stellen wir gerade Überlegungen an, ein Wärmenetz für die Gemeinde Schipkau zu entwickeln, das aus Energie, welche durch grünen Strom hergestellt wurde, gespeist wird.
Außerdem sind wir für unsere Projektentwickler auch mit anderen Kommunen in Kontakt, um ihnen die Vorteile des Ganzen näher zu bringen. Natürlich diskutieren wir auch permanent neue Entwicklungen.
Auch das Repowering von Solaranlagen wird uns künftig beschäftigen. Wenn man sich beispielweise in der Nachbarschaft umschaut, fällt schon heute auf, dass es ältere Solaranlagen gibt, die erst mittags anfangen, Strom zu produzieren, während gleichzeitig die neu eingebauten Anlagen schon bei Sonnenaufgang die ersten Kilowattstunden erzeugen.
Im Bereich der Windkraftanlagen ist der Höhenwindturm unser nächstes Projekt. Wir sind dabei, den mit 365 Metern Flügelspitze höchsten Windturm der Welt zu errichten, der damit fast so hoch ist wie der Berliner Fernsehturm. Es gibt permanent neue Entwicklungen, an die wir uns anpassen müssen. Dafür haben wir schon seit vielen Jahren starke Partner, gerade in der Projektentwicklung, mit denen wir regelmäßig zusammenarbeiten.
Wenn Sie beide jetzt noch mal nach rechts und nach links schauen, was würden Sie anderen Gemeinden mitgeben wollen, wenn dort auch Erneuerbare-Energien-Projekte gestartet werden sollen?
Prietzel: Zunächst möchte ich die Wichtigkeit von Transparenz gegenüber den Bürger:innen vom ersten Gedankengang an betonen. Vor diesem Hintergrund haben wir auch bei jeder neuen Anlage oder bei jedem neuen Projekt gemeinsam mit den Projektentwicklern Einwohnerversammlungen gemacht, um die Bürger:innen wirklich aufzuklären.
Wichtig ist auch, dass die Bürger:innen immer eine Teilhabe haben, sodass die Bürger:in irgendwo mitverdienen kann und nicht nur als Außenstehende:r vor diese Anlagen gestellt wird. Das Bürgerstrommodell war hier ein erster Schritt. Einer der nächsten Schritte wird die bereits angesprochene Wärmeversorgung sein und dann natürlich der Bürgerstrom.
Was ich außerdem noch weitergeben würde, ist, dass wir seit 2000, also schon fast 25 Jahre, keine einzige Steuer neu erheben und existierende Steuern nicht anheben mussten. Das ist im Süden Brandenburgs oder generell in Brandenburg einmalig. Auch dies ist wieder eine Form der Teilhabe, die jede:r Einzelne hat, wenn man weiß, dass Grundstückssteuern und Gewerbesteuern bei uns über viele, viele Jahre schon stabil sind. Das ist ein gewisser Standortvorteil, wo man die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen kann.
Quittel: Die frühzeitige Mitnahme würde ich noch ergänzen. Mit dem Projektgedanken braucht es selbstverständlich erst einmal eine Ausreifung der Kommunalvertreter:innen, aber dann muss das Thema auch an die Bürger:innen gehen, sodass diese frühzeitig daran teilhaben können und Bedenken gehört werden.
Außerdem braucht man ein bisschen Durchhaltevermögen im Bürokratendschungel Deutschland.
Günstig ist es auch, Kontakt zu pflegen zu anderen Gemeinden, die so ein Projekt durchgehalten haben, und von diesen zu lernen. Da tut es oftmals bereits ein loser Kontakt, der gar nicht immer offiziell sein muss.
„Es ist wichtig, dass man nicht die Augen vor den weltweiten Entwicklungen verschließt. Und der Weg wird sicher hin zu erneuerbaren Energien und deren Nutzung gehen. Man sollte also offen sein für neue Technologien. Das ist Grundvoraussetzung.”
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