Die Verfolgung sozialer und ökologischer Ziele sollte im Gleichschritt erfolgen
Mit Blick auf den Klimawandel und dessen Konsequenzen wissen wir, dass künftig gewaltige Herausforderungen auf Wirtschaft und Gesellschaft zukommen werden. Es ist eine globale Kraftanstrengung notwendig, die auch die Berücksichtigung sozialer Aspekte erfordert, sagt Prof. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
Herr Prof. Fratzscher, warum ist nachhaltiges Wirtschaften auch ökonomisch sinnvoll?
M. Fratzscher: „Gute Klimaschutzpolitik ist auch gute Wirtschaftspolitik. Und was auf politischer Ebene gilt, trifft auch für Unternehmen zu: Langfristig können Unternehmen nur erfolgreich sein, wenn sie im Einklang mit der Natur wirtschaften, nicht zu viele Ressourcen verbrauchen und auf Kreislaufwirtschaft setzen. Künftig wird wirtschaftlicher Erfolg sogar immer stärker daran gekoppelt sein, ob und inwieweit unternehmerisches Handeln nachhaltig ausgerichtet ist. Denn die Menschen werden darauf in der Zukunft viel mehr Wert legen. Unternehmen, die dies vernachlässigen, werden unweigerlich bankrottgehen – umgekehrt wird sich nachhaltiges Wirtschaften zunehmend zu einem Wettbewerbsvorteil entwickeln.“
Was ist aus Ihrer Sicht nötig, damit Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bei der Erreichung der gesteckten Nachhaltigkeitsziele an einem Strang ziehen?
M. Fratzscher: „Zunächst einmal ist es wichtig, sich der Werte bewusst zu machen: Was wollen wir als Gesellschaft erreichen? Geht es nur um wirtschaftliche Ziele oder geht es auch um eine intakte Umwelt, um Gesundheit und sozialen Frieden? Ich finde, wir sollten Wohlstand anders definieren, als es mit Bezug auf materielle Güter bislang meist getan wird. Denn die große Mehrheit der Menschen gibt bei Umfragen an, dass gesellschaftliche Teilhabe und andere nicht-materielle Güter für sie die größte Rolle spielen. Dies zu Ende gedacht, heben sich die Interessenskonflikte von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft eigentlich auf – jedenfalls sofern das Ziel eines breiter gefassten Wohlstandsbegriffs allseits geteilt wird.“
Die europäische Nachhaltigkeitsregulierung erweckt zurzeit den Eindruck, dass soziale Ziele gegenüber ökologischen Zielen eher nachrangig verfolgt werden. Haben Sie dafür Verständnis?
M. Fratzscher: „Die Verfolgung sozialer und ökologischer Ziele sollte im Gleichschritt erfolgen. Denn damit die Erreichung ökologischer Ziele gelingen kann, brauchen wir ein hohes Maß an sozialer Teilhabe. Wir können ja den Menschen nicht sagen: ‚Wir haben hier eine große Transformation, die zum Teil mit erheblichen sozialen Einschnitten verbunden ist, aber bitte unterstützt sie trotzdem.‘ Sondern wir müssen die unterschiedlichen Aspekte nachhaltigen Handels von vornherein zusammendenken – letztlich sind dies verschiedene Seiten derselben Medaille. Die Erfahrung lehrt: Es sind meistens die sozial Schwächsten, die unter negativen Umweltfolgen wie beispielsweise dem Klimawandel am stärksten leiden.“
Sind Sie zuversichtlich, dass bei der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele „niemand zurückgelassen“ wird, wie in der europäischen Nachhaltigkeitsstrategie stets betont wird?
M. Fratzscher: „Meine Sorge ist, dass wir bei der aktuellen Wirtschafts- und Klimaschutzpolitik zu viele Menschen zurücklassen. Eine Ursache ist, dass wir zu häufig national denken. Wir müssen global denken, denn die großen Herausforderungen unserer Zeit sind – insbesondere beim Klimaschutz – global. Solange nicht auch die ärmsten Menschen in Afrika oder in Teilen von Asien oder Lateinamerika mit am Verhandlungstisch sitzen – und zwar hier in Europa –, werden wir keine gute Lösung finden. Wir müssen in Deutschland und Europa insgesamt mehr Verantwortung für die Menschen in den ärmsten Ländern der Welt übernehmen – so, wie dies etwa im Umwelt-Abkommen von Rio des Janeiro beschlossen wurde. Bislang tun wir das leider nicht.“
Artikel erschienen im EinBlick Kundenmagazin Ausgabe 02/2022.
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